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Rede zum FDP-Entwurf zur Änderung des Gentechnikrechts

Rede zur ersten Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes (Drs. 16/4143)

08.03.2007

René Röspel (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wieder einmal liegt uns ein FDP-Antrag vor, in dem gefordert wird, das Gentechnikgesetz zu verändern. Wir haben es bei vormaligen Diskussionen schon gesehen: Eines der tragenden Argumente der FDP ist - wie in vielen anderen Bereichen auch -: Im Ausland passiert etwas und wir dürfen den Anschluss nicht verpassen. Sie schreiben, dass weltweit auf mehr als 90 Millionen ha

(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Einhundert!)

gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden...
Der Biotech-Brief der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie - Frau Happach-Kasan, Sie erwähnen es ja - korrigiert diese Zahl: Der Anbau gentechnisch veränderter (GV-)Pflanzen hat 2006 erneut deutlich zugelegt. Die weltweite Anbaufläche belief sich auf 102 Mio. Hektar. ... Gegenüber 2005 entspricht dies einem Zuwachs von 13 Prozent.
In der Tat, da geht das Ausland wirklich streng voran.

Ich habe noch eine Meldung: In China sind erstmals mehr als 30 Millionen Autos zugelassen. Das entspricht gegenüber dem Jahr 2005 sogar einem Zuwachs von 24 Prozent. Wenn sie so weiterwachsen, werden sie in 5 Jahren 100 Millionen Autos zugelassen haben.

Die Frage lautet also: Ist Wachstum allein die gute Nachricht oder muss man nicht vielleicht ein bisschen hinter die Kulissen schauen? Auch der Biotech-Brief glaubt übrigens nicht, dass allein die Zahl die Nachricht ist, und schiebt deswegen einige positive Beispiele Grüner Gentechnik nach. Es wird geschrieben, dass auf den Philippinen der Ertrag bei gentechnisch verändertem Mais um etwa 13 Prozent höher lag als der beim konventionellen Mais. Für Indien wird geschrieben, dass die Erträge gentechnisch veränderter Baumwolle deutlich gesteigert werden konnten. Das sind gute Nachrichten.
Sie zitieren übrigens die Daten der ISAAA. Das ist eine Organisation, die von namhaften Firmen wie AgrEvo, Bayer, DuPont, Monsanto, Novartis und anderen finanziert wird. Das sind die Konzerne, die mit der Entwicklung und dem Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen Geld verdienen oder verdienen wollen. Das ist zunächst nicht schlimm.

(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Logisch!)

Nun kann man sagen, dass die Fakten auf dem Tisch liegen. Dann erlebt man als engagierter Parlamentarier aber auch andere Stunden. Ich wurde vom EED, dem Evangelischen Entwicklungsdienst, besucht - er ist meines Wissens überwiegend von der Kirche finanziert -, der ein paar Gäste mitbrachte. Das waren Bauern aus Georgien, Argentinien, Brasilien, Tansania und Indien. Das sind die Menschen, die gentechnisch veränderte Pflanzen gekauft haben. Diese Gäste erzählten auf einmal etwas ganz anderes. Sie erzählten von den Fehlschlägen mit gentechnisch veränderten Pflanzen. Sie erzählten von den Ernteausfällen, die sie nach dem Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen haben. Sie erzählten, dass der Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln gestiegen statt - wie von den Konzernen versprochen - gesunken ist. Sie erzählten, dass sie auf einmal niedrigere statt höhere Erträge haben. Sie erzählen von den vernichteten bäuerlichen Existenzen, weil eine nicht gelungene Ernte in den Schwellen- und Entwicklungsländern schlimmere Folgen nach sich zieht, als wir uns vorstellen können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wem glaubt man denn jetzt?

(Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD]: Die sind alle unwissenschaftlich vorgegangen!)

Da fand ich es interessant, dass sich das Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Golm dieses Themas in der Studie „BT-Baumwolle in Indien - Wirtschaftlicher Durchbruch oder Versagen auf der ganzen Linie?“ auch einmal angenommen hat. Genau da wird auch gefragt:
Wie passen diese äußerst widersprüchlichen Sichtweisen - positive Darstellung auf der einen Seite und persönliche Erfahrungen, die etwas ganz anderes berichten, auf der anderen Seite - zusammen?

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Happach-Kasan?

René Röspel (SPD):
Gern.

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Kollege Röspel, wir haben ja schon öfter miteinander über die Frage der Grünen Gentechnik diskutiert. Es ist immer sehr gut, wenn man einen solchen Dialog fortsetzt. Ich möchte Sie fragen, ob Sie außer den Einzelbeispielen, die der EED Ihnen präsentiert hat - der EED hat ja eine ideologisch sehr gefestigte Position gegenüber der Grünen Gentechnik; er lehnt sie nämlich ganz konkret ab, das muss man einfach so sagen -,

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der SPD: Ganz im Gegensatz zur FDP!)

auch wissenschaftliche Erkenntnisse kennen. Professor Martin Quaim von der Universität Hohenheim, der sich insbesondere mit den Ergebnissen des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen in den Schwellenländern beschäftigt, hat dazu zum Beispiel genaue Ausführungen gemacht. Kennen Sie diese Ausführungen? Kennen Sie auch seine Untersuchung zu der Frage, welcher Anteil des Gewinns den Firmen zukommt, zum Beispiel Mon-santo, und welcher Anteil den Landwirten zukommt? Der Untersuchung kann man beispielsweise entnehmen, dass gerade in China und in Indien der Anteil, der den Landwirten zukommt, sehr hoch ist, nämlich 70 bis 80 Prozent, und in Argentinien - das korrespondiert mit dem, was Frau Höfken gesagt hat - der Gewinnanteil der Landwirte nur 10 Prozent ausmacht. Kennen Sie diese Untersuchung und in welcher Weise berücksichtigen Sie sie bei Ihren Ausführungen?

(Ulrich Kelber [SPD]: Wie ist sie finanziert worden?)

René Röspel (SPD):

Ich danke Ihnen für Ihre Frage. Ich kenne diese Untersuchung. Sie gibt mir Gelegenheit, jetzt gleich noch einmal aus der Veröffentlichung „BT-Baumwolle in Indien“ vom Juli 2006 auf der Internetseite des Max-Planck-Instituts für Molekulare Physiologie in Golm zu zitieren, das nicht als ausgewiesen unwissenschaftlich oder ideologisch behaftet bekannt ist. Dort wird genau diese Problematik aufgenommen. Es gibt nämlich Ergebnisse, die die eine Sichtweise stützen, und Ergebnisse, die die andere Sichtweise stützen. Hier steht zu den Erträgen von gentechnisch veränderter Baumwolle in einigen Staaten Indiens geschrieben: Durchschnittlich wurden in einigen Staaten

(Ulrich Kelber [SPD]: Auf einigen Feldern!)

mit Bt-Baumwolle zwischen 45 % (2002) und 63 % (2003) höhere Erträge erzielt.
Das sind die positiven Botschaften, über die auch in den Biotech-Briefen berichtet wird. Auf der anderen Seite gibt es die Erfahrungen aus anderen Regionen und anderen Bereichen - in der Hohenheimer Studie wurde leider wieder nur ein bestimmter Teil angeschaut -, dass die Erträge deutlich geringer sind. So stand in einem Staat am Ende ein um durchschnittlich 40 Prozent geringerer Reingewinn bei der Ernte von gentechnisch veränderten Pflanzen. Genau darauf will ich hinweisen.

Wenn man sich die Literaturangaben im Biotech-Brief und aus den Publikationen von Hohenheim anschaut sowie weitere Literatur und wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema sortiert, dann entwickeln sich zwei Stapel. Es ist eben nicht so, wie Sie vorhin sagten, dass es bewiesen ist, dass es keine Probleme gibt. Vielmehr liegen auf einem Stapel die positiven Aussagen, auf dem anderen Stapel die negativen Aussagen, wobei die Aussagen in beiden Stapeln, meistens jedenfalls, wissenschaftlich begründet sind. Am Ende dieses Stapel-aufhäufens muss doch mindestens ein Zweifel stehen, wer denn nun recht hat. Übrigens kann das das MPI Golm auch nicht endgültig auflösen. Es entstehen eben diese unterschiedlichen Aussagen aus dem Anhören Betroffener und aus dem Lesen wissenschaftlicher Arbeiten. Die negativen Aussagen sind ja auch wissenschaftlich fundiert; das muss man in der Tat zur Kenntnis nehmen.

Wenn man dann auch noch die Aussagen zu der Frage sortiert, welche Auswirkungen eigentlich die Ausbringung gentechnisch veränderter Pflanzen hat - da haben wir einen Erfahrungszeitraum von zehn Jahren; der ist in einem Bereich, wo die Evolution Millionen Jahre gebraucht hat, wirklich so kurz, dass er eigentlich kaum relevant ist -, dann entstehen neue Stapel: einerseits ein Stapel, in dem wissenschaftlich begründete Hinweise enthalten sind auf Resistenzentwicklungen nach Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen, auf die Schädigung der Nichtzielorganismen, also der sogenannten Nützlinge, auf Auswirkungen auf die Böden und auf Auskreuzungen, die insbesondere beim Raps relativ deutlich machen, dass dieser kaum koexistenzfähig ist. Auf der anderen Seite gibt es den Stapel mit den Gegengutachten. Auch da bleiben schlicht und einfach Zweifel.

Wir haben glücklicherweise beim Bundestag mit dem Büro für Technikfolgenabschätzung ein Instrument, das uns helfen kann, diese Zweifel aufzuarbeiten. Auf den guten Bericht, der übrigens sehr ernüchternd endet, was die Bilanzierung der gentechnisch veränderten Pflanzen der zweiten und dritten Generation anbelangt, kann ich aus zeitlichen Gründen nicht eingehen.

Immer wieder kommt das Argument: Aber schaffen wir nicht Arbeitsplätze, wenn wir Gentechnik einführen? - Auch dazu gibt es viel Literatur. Ich habe sie einmal gesichtet und auch bei der Bundesregierung angefragt. Vom Bundesministerium für Forschung habe ich eine interessante Auskunft bekommen: In Deutschland beschäftigen knapp 50 Unternehmen im Bereich der Grünen Biotechnologie circa 1 200 Mitarbeiter. - Wenn wir großzügig rechnen und die Menschen hinzuzählen, die in den jeweiligen Abteilungen in den großen Konzernen arbeiten, kommen wir in Deutschland vielleicht auf 10 000 Mitarbeiter. Im ökologischen Landbau sind mitt-lerweile, Tendenz übrigens steigend, 150 000 Menschen beschäftigt.

(Dr. Edmund Peter Geisen [FDP]: Forschung!)

Wir haben also das 15-fache an Arbeitsplätzen in einem Bereich, der auf gentechnikfreien Anbau dringend angewiesen ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Bei einer Abwägung dieser Arbeitsplatzzahlen würden wir sicherlich schnell zu der Auffassung kommen, dass wir vernünftige Regelungen brauchen.

Willy Brandt hat vor über 40 Jahren - in Bonn, lieber Herr Kelber - einmal gesagt: „Der Himmel über der Ruhr muss wieder blau werden.“ Damals hat er sich mit der sichtbaren Umweltverschmutzung befasst, mit dem Ruß durch die Stahlerzeugung; den kenne ich als Ruhrgebietsmensch. Der Erfolg ist sichtbar: Der Himmel ist blau geworden. Was man damals nicht sehen konnte, waren die unsichtbaren Gefahren. Da gab es keine Zweifel. Es gab auch keine Kenntnis, dass das farb- und geruchlose Kohlendioxid sich im Laufe von Jahrzehnten ansammeln und irgendwann eine Klimakatastrophe auslösen könnte.

Wenn man bei einem Thema Zweifel hat - die hatte man damals nicht, deshalb ist das auch kein Vorwurf; aber heute muss man Zweifel haben, wenn man mit offenen Augen durch die Landschaft geht -, dann gibt es zwei Möglichkeiten, zu verfahren: Man kann mutig vorangehen und das Risiko in der Hoffnung eingehen, dass es gut gehen möge, oder man kann Alternativen suchen, forschen und abwägen, inwieweit man vorangehen kann. Bei Fragestellungen, bei denen man sich schadlos irren kann, weil man die Entscheidung zurückrufen kann, ist der erste Weg akzeptabel - mutig und risikobereit vorangehen. Bei Entscheidungen aber, die nicht mehr rückholbar sind - und das ist die große Frage, ob es bei den gentechnisch veränderten Pflanzen nicht um eine solche geht; wie sollen sie zurückgeholt werden, wenn sie einmal ausgebracht sind? -, gerät der erste Weg zum Lottospiel, und das ist politisch nicht verantwortbar. In diesem Fall ist der zweite Weg - risikoabwägend und absichernd vorzugehen - der bessere.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir sind als SPD-Fraktion der Auffassung, dass wir den Weg gehen müssen, das Risiko richtig zu bewerten. Wir wollen das im Sinne des Schutzes von Umwelt und Mensch auch tun.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Schwerpunkte meiner Arbeit: