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241 Abgeordnete sagen: Parlament braucht Ethikbeirat

Rede zur ersten Lesung des Gruppenantrages "Einrichtung eines Parlamentarischen Beirats zu Fragen der Ethik (Ethikbeirat)" am 1. Juli 2010 (TOP 16)

07.07.2010

Synthetische Biologie, Nanobiotechnologie, die Grenzen der Sterbehilfe oder die Nutzung knapper Ressourcen im Gesundheits- und Pflegewesen – durch Fortschritte insbesondere im Bereich der modernen Lebenswissenschaften werden wir als Gesellschaft und als Politik seit Jahren vor alte wie neue ethische Herausforderungen gestellt. Das wohl bekannteste Beispiel für diese Entwicklung ist die jahrelange Debatte über die Chancen und Grenzen der Forschung an und mit menschlichen embryonalen Stammzellen. Diese Probleme und Herausforderungen muss ein technikbegleitendes und -gestaltendes Parlament in gesetzgeberisches Handeln übersetzen.

Wir legen heute in erster Lesung dem Deutschen Bundestag den unterschriftenstärksten Gruppenantrag in der Geschichte unseres Parlaments zur Beratung vor.

241 Abgeordnete haben mit ihrer Unterschrift diesen Antrag unterzeichnet. Dies ist ein starkes Signal für eine aktive Rolle des Parlaments in den kommenden Beratungen über ethische Herausforderungen insbesondere in den Lebenswissenschaften.

Mit der Ersetzung des vom Bundeskabinett von Kanzler
Gerhard Schröder eingesetzten Nationalen Ethikrates
durch einen Deutschen Ethikrat hat die damalige Koalition von SPD und CDU/CSU im Jahr 2007 einen guten Schritt getan, um die Legitimation des Ethikrates auszuweiten und gesetzlich festzuschreiben. Dies war ein richtiger Schritt, um die Beratungstätigkeit des Ethikrates zu verstetigen. Heute ist der Deutsche Ethikrat das auch international sichtbarste biomedizinische und bioethische Beratungsgremium in Deutschland.

Wir als SPD haben uns damals immer dafür eingesetzt, dass der Ethikrat als Beratungsgremium parlamentarisch angebunden sein muss, wenn seine Empfehlungen in politische Beratungen und – gegebenenfalls – politisches Handeln einfließen sollen. Daher haben wir uns als Mitglieder der SPD-Fraktion – gegen Widerstände vonseiten der CDU und CSU – für einen Ethikbeirat eingesetzt und tun dies auch heute.

Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Gruppenantrages setzen sich für einen Ethikbeirat ein, der stärker als in der vergangenen Legislaturperiode auch eigene inhaltliche Akzente setzen kann. In der vergangenen Wahlperiode hat der Ethikbeirat leider auf Wunsch der Fraktion von CDU und CSU nur ein begrenztes – und in Teilen unklares – Mandat erhalten.

Wir korrigieren mit dem vorliegenden Gruppenantrag die – damals von Unionsseite gewollten – Defizite des „alten“ Ethikbeirates.

Hierbei knüpfen wir ausdrücklich auch an den Antrag der Fraktion der FDP an, die im November 2006 einen Antrag zur „Einrichtung eines Parlamentarischen Beirates für Bio- und Medizinethik“ in die Beratungen eingebracht hatte. Warum sich trotzdem bisher aus der Fraktion der FDP fast keine Abgeordnete bzw. kein Abgeordneter unserer Gruppeninitiative angeschlossen hat, ist mir nicht verständlich. Ich kann mir dies nur damit erklären, dass CDU und CSU unter Verweis auf die Koalitionsvereinbarung viele der Mitglieder der FDP-Fraktion von einer Unterstützung abgehalten haben.

Dabei hatte der FDP-Abgeordnete Michael Kauch am 9. November 2006 im Bundestag noch richtigerweise festgestellt: „Ohne parlamentarische Begleitung bleibt der Ethikrat aber ein Torso.“ Genau dies wollen wir mit unserem Antrag verhindern.

Der Ethikbeirat soll sich – wie schon in der vergangenen Legislaturperiode erfolgreich praktiziert – regelmäßig mit dem Ethikrat und seinen Mitgliedern austauschen.

So können wir sicherstellen, dass das Parlament über den Fortgang der Beratungen im Ethikrat regelmäßig informiert wird und nicht erst nach der Veröffentlichung von Stellungnahmen über kommende Fragestellungen in Kenntnis gesetzt wird. Gleichzeitig können der Ethikbeirat und seine Mitglieder dem Deutschen Ethikrat signalisieren, welche Themen aus Sicht des Parlaments eine besondere Relevanz hätten. Auch eine Tendenz, wie bestimmte Regelungsvorschläge im parlamentarischen Umfeld aufgenommen werden würden, ließe sich durch einen regelmäßigen Austausch zwischen Deutschem Ethikrat und Beirat zumindest andeuten. Der Ethikrat hätte dann die Möglichkeit, in seinen Stellungnahmen bestimmte Fragen oder Punkte, die von besonderem Interesse für die interessierten Mitglieder des Bundestages sind, noch ausführlicher darzustellen, was sich positiv auf die politische Anschlussfähigkeit der Stellungnahmen auswirken dürfte.

Zur Verbreiterung der Ethikdebatte im Parlament sieht unser Antrag auch vor, die Zahl der Mitglieder des Ethikbeirates auf 18 zu erhöhen. So ist möglich, dass sich mehr Mitglieder des Bundestages über ihre Mitarbeit im Ethikbeirat über ethische Problemfragen austauschen und informieren und Themen in die parlamentarische Beratung tragen. An Themen wird es weder Ethikbeirat noch dem Deutschen Ethikrat mangeln.

Trotz der offenkundigen positiven Rückwirkungen für die Ethikdebatte in Deutschland haben Vertreter der CDU/CSU den Gruppenantrag bereits öffentlich abgelehnt. Das finde ich bedauerlich. Die hierbei verwendeten Argumente sind jedoch nicht stichhaltig.

Nachgerade absurd ist insbesondere das Argument, dass in Zeiten der Kostensenkung ein Ethikbeirat eine vermeidbare finanzielle Belastung darstelle. Als ob die Informationsmöglichkeiten des Parlaments der erste Punkt sind, bei dem man finanzpolitisch – nach Steuergeschenken für Hoteliers – das Sparen beginnen sollte.

Auch die Möglichkeit, dass die Berichterstatterinnen und Berichterstatter im Forschungsausschuss den Gesprächsfaden zum Ethikrat aufrechterhalten sollen, ist ein nicht tragfähiger Vorschlag, wie schon der Blick auf die aktuellen Themen des Ethikrates zeigt. So fallen die Grenzen der Chimären- und Hybridbildung sicher (auch) in die Kompetenz des Forschungsausschusses.

Bei Fragen der Sterbehilfe, der Selbstbestimmung und Demenz oder der Intersexualität sieht dies jedoch schon ganz anders aus. Genau deswegen braucht der Bundestag ein Gremium, welches sich gezielt mit ethischen Streitfeldern und Problemen auseinandersetzt. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die vom Ethikrat diskutierten Themen zwischen die Schnittstellen der Bundestagsausschüsse fallen.

Dieser Ethikbeirat kann und soll nicht nur als Gesprächspartner für den Deutschen Ethikrat fungieren, sondern auch Kontaktmöglichkeiten für Verbände, Interessengruppen und interessierte Bürgerinnen und Bürger bieten. Er ist – dies muss man immer wieder betonen – kein Gegengremium zum Deutschen Ethikrat, sondern er ergänzt die Institution Ethikrat wirksam und sinnvoll.

Wie die Erfahrung der letzten Legislaturperiode zeigt, sehen dies auch die Mitglieder des Ethikrates so. Bei einer Ablehnung des nun vorliegenden Einsetzungsantrages besteht eine Gefahr, die auch von Mitgliedern des Deutschen Ethikrates gesehen wird: dass die Arbeit des Ethikrates im politischen „Nirwana“ endet und die meist mühevoll erarbeiteten Stellungnahmen ad acta gelegt werden, sobald sie gedruckt wurden. Dies wäre dann eine echte Verschwendung von Steuergeldern, die doch offenkundig von Mitgliedern der Fraktion von CDU und CSU vermieden werden soll.

Dass die enge Verbindung von ethischer Experteninstitution und Parlament zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit führen kann, zeigt das Beispiel Dänemark. Als ein seit 1987 bestehendes Beratungsgremium hat der Dänische Ethikrat über die Jahre viel Lob für seine Arbeit erhalten. Ein wichtiger struktureller Bestandteil der Arbeit des Dänischen Ethikrates war und ist das parlamentarische Begleitgremium, welches die Tätigkeit des Rates begleitet. Dieser dänische „Ethikbeirat“ – wenn man ihn so nennen darf – beeinflusst sogar die Besetzung des Dänischen Ethikrates. Man kann daher sagen,
dass ein Baustein der erfolgreichen Arbeit des Dänischen Ethikrates die enge Verbindung zum Parlament ist. Von diesem erfolgreichen Beispiel wollen wir lernen.

Für die „alternativen Vorschläge“ zur Vernetzung von Parlament und Ethikrat – wie sie etwa der Unionsabgeordnete Dr. Thomas Feist in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 18. Mai 2010 präsentiert hat – gibt es hingegen keine erfolgreichen internationalen Vorbilder oder Beispiele. Solche Vorschläge lassen demokratische Legitimation und gewohnte Transparenz vermissen.

Der Bundestag benötigt „ein parlamentarisches Gegenüber, wenn der Gesetzgeber seine eigene bioethische Kompetenz nicht weiter auslagern und relativieren will“ – diese Feststellung stammt nicht von einer Abgeordneten oder einem Abgeordneten, der den Gruppenantrag unterzeichnet hat; diese Feststellung stammt von Mechthild Löhr, der Bundesvorsitzenden der Christdemokraten für das Leben.

Es ist mir vollkommen unverständlich, warum offenkundig gerade die Fraktion von CDU und CSU ihren Mitgliedern untersagt hat, den Gruppenantrag mit zu unterzeichnen. Stattdessen scheint die Unionsfraktionsführung darauf zu drängen, dass in der Schlussabstimmung die Koalitionsfraktionen den Gruppenantrag geschlossen ablehnen.

Wir fordern Sie auf: Beenden Sie diese koalitionstaktischen Spielchen und geben Sie die Abstimmung über den vorliegenden Gruppenantrag frei! Spätestens wenn im Bundestag die nächste Stammzell- oder Sterbehilfedebatte ansteht, werden Sie sehen, dass der Ethikbeirat ein wichtiges und sinnvolles Gremium ist.


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