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Lob und Dank an das Büro für Technikfolgenabschätzung

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06.10.2010

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun für die SPD-Fraktion Kollege René Röspel.

(Beifall bei der SPD)

René Röspel (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bildungs- und Forschungspolitiker der SPD-Bundestagsfraktion haben am Sonntag einen sehr spannenden Vortrag von Professor Gigerenzer zum Thema „Risikokompetenz – Der informierte Umgang mit einer modernen technologischen Welt“ gehört. Eine der Aussagen war – fast selbstverständlich –: Vertrauen – nicht immer Gottvertrauen, Herr Kollege Feist – ist Zement einer Gesellschaft, und Politik leidet in den letzten Jahren eher unter Vertrauensverlust. Als Gegenrezept empfahl uns Professor Gigerenzer, mehr Transparenz, mehr Öffentlichkeit und vonseiten der Politik auch mehr Glaubwürdigkeit an den Tag zu legen.

(Beifall des Abg. Willi Brase [SPD])

Diese Gedanken im Kopf, habe ich mir heute Morgen im Eingangsbereich, in dem all die Gesetzentwürfe ausliegen, die in einer Sitzungswoche behandelt werden, fast wahllos einen geschnappt, weil diese Gesetzentwürfe unabhängig von der jeweiligen Bundesregierung eigentlich immer gleich aufgebaut sind. Ich habe mal den „Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP – Entwurf eines Elften Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes“ genommen. Unter „A. Zielsetzung“ wird immer erklärt, worum es geht. Hier geht es um die Laufzeitverlängerung bei 17 Atomkraftwerken um 12 Jahre.
Auf der zweiten Seite steht immer „B. Lösung“. Hier steht, wie die Zielsetzung des Gesetzes erreicht werden soll. Jetzt kommt der Punkt, auf den ich hinaus will. Unter C findet sich immer der Abschnitt „Alternativen“.
Jetzt raten Sie mal, was da in neun von zehn Gesetzentwürfen immer steht, übrigens unabhängig von der jeweiligen Regierung.

(Zurufe von der CDU/CSU: Keine! Keine!)

– Keine. – Jetzt frage ich uns ernsthaft: Glauben wir das eigentlich selbst, oder glauben wir, dass die Leute draußen glauben, dass es niemals eine Alternative zu den Gesetzentwürfen gäbe, die wir alle hier machen?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich bin davon eher nicht überzeugt. Wenn es um Glaubwürdigkeit geht, sollten wir entweder den Punkt C demnächst mit Alternativen ausfüllen – denn die gibt es immer; jedem Handeln steht ein Unterlassen gegenüber und umgekehrt, und beides hat natürlich Folgen – oder diesen Punkt einfachen streichen. Das wäre vielleicht genauso glaubwürdig. Ebenso sollten wir als Politiker häufiger sagen, dass wir nicht die allumfassenden Lösungen anbieten können, dass wir immer wieder fragen, welcher Weg eigentlich der richtige ist, und dass wir auf der Suche sind, wenn wir ein Gesetz machen.

Gigerenzer sagte auch, dass wir in einer Zeit rasanter Technologieentwicklung leben und dass das Verständnis der Menschen von Technologie immer weniger mit diesen neuen Technologien Schritt halten kann. Und: Risiken sind immer vorhanden. Wir müssen nur lernen – und das frühzeitig –, mit Risiken vernünftig umzugehen und sie abzuwägen. Ich bin überzeugt: Wer Risiken verschweigt, wird gerade nicht Vertrauen erzeugen, sondern Misstrauen und Vorurteile hervorrufen. Albert Einstein hat zu Recht gesagt, dass es viel einfacher ist, einen Atomkern zu zertrümmern als ein Vorurteil. Das sollten wir uns manchmal in Erinnerung rufen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Richtig ist deswegen: Wir müssen Risiken benennen, transparent machen und wirkliche Alternativen – also Punkt C – suchen, und dazu braucht das Parlament eine gute Beratung. Ich bin sehr froh, dass vor mehr als 20 Jahren vorausschauende Kollegen wie Jürgen Rüttgers aus der CDU/CSU-Fraktion, Edelgard Bulmahn und Wolf-Michael Catenhusen und seitdem die als Motor fungierende, aber jetzt leider abwesende Ulla Burchardt diesen Prozess verfolgt und das Büro für Technikfolgenabschätzung ins Leben gerufen haben. Damit hat nämlich der Bundestag eine unabhängige, frei von äußeren Einflüssen handelnde und Vorschläge machende politische und wissenschaftliche Politikberatung bekommen, die im Auftrag des Bundestages handelt. Das war ein Glücksgriff und eine Glanztat. Danke an die vielen Kolleginnen und Kollegen, die das vor 30 Jahren angestoßen und seit dieser Zeit kontinuierlich verfolgt haben.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei wird eines deutlich: Wissenschaft ist nicht politikfrei.
Spätestens seit der Göttinger Erklärung vor über einem halben Jahrhundert wissen wir das. Politik ist auch nicht unwissenschaftlich und darf nicht unwissenschaftlich sein. Zentral dabei scheint mir, dass die wissenschaftliche Politikberatung an das Parlament angekoppelt ist. Es gibt eine Berichterstattergruppe im Ausschuss für Technikfolgenabschätzung, die einstimmig im Konsens entscheidet. Auch das findet man nicht immer im Bundestag. 144 Berichte ganz unterschiedlicher Art sind in den letzten 20 Jahren vom Büro für Technikfolgenabschätzung vorgelegt worden. Es waren Berichte zur Bio- und Gentechnologie, zur Kommunikationstechnologie, zu den Auswirkungen und Folgen von Mobilfunk, zur Innovationspolitik, zu ganz vielen unterschiedlichen Fragen zur Nahrungsmittelqualität. Diese Berichte haben nicht nur dem Parlament als Beratungsgrundlage gedient, sondern sie haben sehr häufig auch öffentliche Resonanz hervorgerufen und dienen auch heute noch als gute wissenschaftliche Grundlage für viele Beratungen und Diskussionen.

Aufgabe solcher Berichte ist es, zu Themen, über die wir manchmal noch gar nicht viel wissen, den Stand der Wissenschaft und der Forschung, Perspektiven, mögliche Entwicklungen und – sofern das möglich ist – Handlungsoptionen, also unterschiedliche Wege aufzuzeigen, die wir als politisch Entscheidende gehen können. Damit sind wir wieder bei Punkt „C. Alternativen“. Uns werden also auch Alternativen aufgezeigt. Das TAB ist sozusagen ein Radar für neue technologische Entwicklungen, die stattfinden, und zeigt uns mitunter Untiefen, die vor uns liegen. Die Politik ist der Kapitän, der entscheiden und den Kurs festlegen muss. Das geht auch nicht anders. Aber die Informationen des Radars zu berücksichtigen, mag für das Schiff sicherlich nicht falsch sein.

Ich will einige Beispiele nennen. Der Bericht „Stand und Perspektiven der Nanotechnologie“ aus dem Jahr 2003 war nicht nur eine gute wissenschaftliche Grundlage zu dem sich entwickelnden Bereich der Nanotechnologie, sondern er hat auch eine große öffentliche Resonanz erfahren und fast erstmals in der Geschichte die Politik in die Lage versetzt, einigermaßen auf der Höhe der technischen Entwicklung zu sein und frühzeitig über Risiken und Chancen zu reden, aber auch Regulationsmechanismen einzubauen und eine öffentliche Diskussion in Gang zu bringen. Wir als Parlament haben das immer begleiten können. So kann man Transparenz auf einem neuen technologischen Gebiet herstellen und Misstrauen verhindern: indem man frühzeitig und verständlich darüber redet.

Der zweite Bericht, der bald vorgelegt wird, ist der über Fortpflanzungsmedizin. Er wird uns sicher eine wichtige, in manchen Fällen auch überraschende und interessante Grundlage für eine ethische Debatte, die auf uns zukommen wird, bieten können: über die Frage, ob Präimplantationsdiagnostik zulässig sein soll oder nicht. Auch da lohnt sich ein Blick in den Bericht zum Thema Fortpflanzungsmedizin, der den Berichterstattern jetzt vorliegt und der in einigen Wochen sicherlich veröffentlicht werden wird.

Ein weiteres, zukunftsgerichtetes Beispiel ist der von der Berichterstattergruppe in Auftrag gegebene Bericht zu Geo-Engineering – ein fürchterliches Wort. Wir erwarten in einem Bereich, der sehr neu ist, Antworten auf die Frage, welche Auswirkungen auf Klima und Welt kann es haben, wenn die Menschen großflächig Eisenoxid in die Weltmeere kippen, Algen damit düngen und so hoffen, dass Kohlendioxid gebunden wird, oder Sulfat in die Stratosphäre schießen, in der Hoffnung, dass großflächig Sonnenstrahlen reflektiert werden und die Erderwärmung nicht zunimmt. All das sind offene Fragen, die wir nicht beantworten können. Das TAB wird uns – dessen bin ich sicher – eine gute Stütze und wissenschaftliche Hilfe sein.

Mein Fazit: 20 Jahre TAB – zumindest ich bin klüger geworden; ich gebe zu, dass das gesellschaftlich nicht wirklich relevant ist. Wichtig ist, dass das TAB, also das Büro für Technikfolgenabschätzung, uns wirklich in die Lage versetzt, Entscheidungen so zu treffen, dass auch künftige Generationen genügend Freiraum und Spielraum haben, eigene Wege zu gehen, eigene Entscheidungen zu treffen, vielleicht auch eigene Fehler zu machen.

Das ist ein wichtiger Wert. Deshalb gilt der Dank der SPD-Fraktion wie sicherlich aller anderen Fraktionen ausdrücklich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des TAB und allen beteiligten Gutachtern. Wir werden sie weiterhin unterstützen, auch in Haushaltsfragen; denn die Mittel sind knapp.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Schwerpunkte meiner Arbeit: