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Forschungspolitik ist Aneinanderreihung von Pleiten, Pech und Pannen

16.12.2010

Zu Protokoll gegebene Rede zum Antrag „Überprüfung und Neuordnung der Forschungsfinanzierung – Transparente und verbindliche Verfahren sicherstellen – Wissenschaftsgerechte Strukturen weiterentwickeln“ (Drucksache 17/3864) am 16. Dezember 2010 (TOP 35)

René Röspel (SPD):
Die deutsche Wissenschafts- und Forschungslandschaft befindet sich in einer schwierigen Situation. Der internationale Wettbewerb um die besten Köpfe ist hart und wird in den nächsten Jahren nach Ende der Finanz- und Wirtschaftskrise eher noch intensiver werden. Neue Länder rücken in die Gruppe der Staaten mit einer international wettbewerbsfähigen Innovationslandschaft auf. Durch die Fortschritte insbesondere in der Informations- und Kommunikationstechnologie hat der wissenschaftliche Fortschritt eine neue Dynamik erreicht. Von der nationalen Politik ist in einer solchen Situation ein klares Handeln und das Schaffen von Planungssicherheit, von sicheren – mittel- und langfristigen – Finanzierungsperspektiven sowie von wissenschafts- und forschungsfreundlichen Rahmenbedingungen zu fordern.
Mit dem Pakt für Forschung und Innovation, der Exzellenzinitiative sowie dem Hochschulpakt ist Deutschland in vielen Aspekten gut aufgestellt. Während die ersten beiden Pakte noch unter der Federführung von Edelgard Bulmahn auf den Weg gebracht wurden, wurde der Hochschulpakt im Rahmen der Großen Koalition von SPD und CDU/CSU vereinbart. Wir als SPD-Fraktion können somit mit gutem Recht einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung des Wissenschaftsstandortes Deutschland für uns reklamieren.
Vergleicht man nun die wissenschaftsgeleitete Entstehung und Umsetzung der drei Pakte mit den forschungspolitischen Bemühungen der Regierung von FDP und CDU/CSU, so fällt das Resümee nüchtern aus. Der Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen beschreibt die Aneinanderreihung von Pleiten, Pech und Pannen der jetzigen Regierung zutreffend. So warten wir als Parlament bis heute auf die Vorlage eines umfassenden Konzepts zur Wissenschaftsstärkung – meist vollmundig als „Wissenschaftsfreiheitsinitiative“ bezeichnet. Auch die steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung wurde auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben.
Stattdessen hat sich Bundesforschungsministerin Schavan wiederholt als „Ministerin für Ad-hoc-Beschlüsse“ hervorgetan. Zwei Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit machen dies deutlich: Nachdem das unionsgeführte Bundesland Schleswig-Holstein ankündigte, die renommierte Universität Lübeck de facto kaputt zu sparen, indem man die Mediziner-Ausbildung abwickeln wollte, begann ein hektisches Treiben aufseiten des BMBF. Die Bundesregierung verweigerte in zwei Fragestunden des Bundestages den Abgeordneten jedwede Auskunft über die Pläne der Bundesministerin, welchen Beitrag der Bund zur Rettung der Uni Lübeck leisten könnte. Umso überraschender war der nur einen Tag nach der zweiten Fragestunde auf einer Pressekonferenz angekündigte Wechsel des IFM-GEOMAR von der Leibniz- zur Helmholtz-Gemeinschaft. Es gab für diesen Wechsel keine wissenschaftspolitischen Gründe. Es gab keine Befassung des Wissenschaftsrates mit diesem Vorstoß. Es gab keine Beteiligung der betroffenen Einrichtungen. Frau Schavan musste verhindern, dass das angedrohte Streichkonzert von Ministerpräsident Carstensen auch ihre Reputation als „Innovationsministerin“ beschädigt. Der Schaden dieses Winkelzuges für die Wissenschafts- und Forschungslandschaft ist bis heute nicht abzusehen. Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben daher eine ausführliche Große Anfrage an die Bundesregierung gerichtet. Dass die Bundesregierung bis Ende Februar 2011 benötigt, um diese Anfrage zu beantworten, zeigt, wie intensiv das Bundesministerium nach Formulierungen suchen muss, um den parteitaktischen Winkelzügen von Frau Schavan einen wissenschaftspolitischen Anstrich zu verpassen. Wir freuen uns auf die Debatte über die Große Anfrage. Das zweite Beispiel für die forschungspolitische Irrfahrt von Frau Schavan ist die Ankündigung der Einführung von Programmkostenpauschalen für BMBF-geförderte Projekte. Um eines klarzustellen: Wir unterstützen die Einführung von Programmkostenpauschalen. Aber wir als SPD-Bundestagsfraktion haben auch den Anspruch, dass die Ausgestaltung der Programmkostenpauschalen wissenschaftsorientiert erfolgt. Frau Schavan hingegen hat die Programmkostenpauschalen in den Verhandlungen zur BAföG-Erhöhung genutzt, um die Bundesländer mittelbar zu „entschädigen“. Wenn nun das Bundesforschungsministerium behauptet, dass es sich bei der Einführung der Programmkostenpauschale von zunächst 10 und später 20 Prozent nicht um ein „Tauschgeschäft“ in den BAföG-Verhandlungen handelte, so kann man hierüber – das aber nur wegen der Adventszeit – nur milde lächeln. Nicht lächeln werden hingegen die Bundesländer. Denn es ist - auch dies beschreibt der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen richtig - absehbar, dass die forschungsstarken Bundesländer durch die Programmkostenpauschalen überdurchschnittlich profitieren, wohingegen die weniger forschungsstarken, aber etwa in der Lehre hervorragenden Universitäten negative Auswirkungen zu befürchten haben.
In beiden Beispielen waren wahl- und/oder parteitaktische Erwägungen Antrieb für wissenschaftspolitische Entscheidungen. Dies kann und darf nicht so weitergehen. Man mag Frau Schavan anrechnen, dass sie versucht, die unterirdische Wissenschafts- und Forschungspolitik des Landes Schleswig-Holstein zumindest teilweise kompensieren zu wollen. Sie tut dies jedoch auf eine Art und Weise, die mit einer wissenschaftsgetriebenen und transparenten Gestaltung der Forschungslandschaft bestenfalls nur noch wenig zu tun hat.
Aus diesen Gründen begrüßen wir den Vorstoß der Grünen und den vorliegenden Antrag. Ob die Einrichtung einer „Strategiearbeitsgruppe“ der beste Weg ist, um die Wissenschafts- und Forschungspolitik des Bundes endlich wieder auf eine solide und transparente Basis zu stellen, werden wir in den Ausschussberatungen noch einmal intensiver zu diskutieren haben. In einem Punkt aber sind wir uns sofort einig: Der wissenschaftspolitische Irrflug des Bundes in den letzten Monaten muss ein Ende haben.

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