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Gesundheitsforschung von den Menschen her denken

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07.04.2011

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Im Oktober 2007 ist die „Roadmap für das Gesundheitsforschungsprogramm der Bundesregierung“ publiziert worden, herausgegeben vom Gesundheitsforschungsrat des BMBF. Das ist ein Rat, der mit hochkarätigen deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besetzt ist. Er hat sich im Beratungsprozess mit über 900 Beteiligten getroffen – leider waren darunter keine Patientenvertreter und keine Vertreter der Komplementärmedizin; dazu werde ich gleich kurz noch etwas sagen – und einige Jahre diskutiert. Er hatte die Aufgabenstellung, zu beraten, welche aussichtsreichen Forschungsthemen im Bereich der Gesundheit zu identifizieren sind und der Bundesregierung sozusagen mit auf den Weg gegeben werden können, um ein Gesundheitsforschungsprogramm zu erarbeiten und zu beschließen.

Dieses haben wir im Oktober 2007 auf den Tisch bekommen, und ich muss sagen: Es ist ein richtiges Schwergewicht – 120 Seiten vollgepackt mit Informationen, wissenschaftlichen Arbeiten, Handlungsoptionen und Vorschlägen. Wir waren damals, als wir darüber diskutiert haben, sehr zufrieden damit und haben gesagt: Es wird spannend, was für ein Gesundheitsforschungsprogramm aus den Vorschlägen der beteiligten Wissenschaftler entstehen wird.

Knapp anderthalb Jahre später haben wir nachgefragt. Im Januar 2009 bekamen wir die Antwort: Im April/Mai wird es eine Kabinettsbefassung mit dem Gesundheitsforschungsprogramm geben. Ein weiteres Jahr später, im Februar 2010, haben wir noch einmal nachgefragt, wann das Gesundheitsforschungsprogramm vorliegen wird. Es wurde dann eine ähnliche Antwort gegeben: Kabinettsbefassung im April/Mai. Ende 2010 flatterte eine Hochglanzbroschüre des BMBF in unsere Büros – übrigens ohne vorherige Diskussion; ich weiß nicht, in welchen parlamentarischen Zirkeln das vorher besprochen worden ist –, auf der stand: „Rahmenprogramm Gesundheitsforschung der Bundesregierung“.

(Ulla Burchardt [SPD]: So viel zum Thema Gemeinsamkeit!)

Das Deckblatt ist übrigens im seit 2005 üblichen CDU-Orange gehalten. Wir waren sehr gespannt, was in diesem Rahmenprogramm steht. Es sind 48 Seiten; es müssen ja auch nicht wieder 120 Seiten sein. Aber wenn man hineinschaut, dann findet man erst einmal eine ganze Reihe von Hochglanzfotos. Sehr interessant! Zieht man sie ab, bleiben von den 48 Seiten 30 Seiten Text.

(Ulla Burchardt [SPD]: Das ist schön! – Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immerhin!)

Auch das ist okay. Wenn man sich diesen Text dann aber ansieht – das ist alles andere als ein Schwergewicht, Frau Schavan, das ist ein wirkliches Leichtgewicht –, dann ist die Enttäuschung sehr groß,

(Beifall bei der SPD)

und zwar aus zwei Gründen. Der erste Grund ist ein inhaltlicher: Bei der Erarbeitung des Gesundheitsforschungsrahmenprogramms haben Sie die wissenschaftlichen Chancen nicht genutzt;

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

sie finden sich im Gesundheitsforschungsprogramm nicht wieder. Sie haben die Arbeit der deutschen Wissenschaft schlicht und einfach nicht genutzt. Der zweite Punkt, der mich fast ärgert, ist: Sie haben nicht die Möglichkeit genutzt, mit dem Gesundheitsforschungsprogramm ein gesellschaftliches und politisches Zeichen mit einer entsprechenden Dimension zu setzen.

Wenn man das Programm liest, dann erhält man in der Tat den Eindruck, dass die Gesundheitsforschung in diesem Programm dazu dienen soll, möglichst schnell wirtschaftlich verwertbare Produkte zu generieren. Sie nennen das: Erkenntnisse „an den Patienten bringen“. Das zieht sich wie ein roter Faden durch dieses Programm.

Um das visuell deutlich zu machen, habe ich rote Zettel eingelegt. Überall dort, wo sich ein roter Zettel befindet, wird die Wirtschaft betont. Das darf man machen, aber es dient nicht der Gesundheitsforschung. Wir als SPD haben eine andere Auffassung, Frau Schavan. Gesundheitsforschung soll nicht der Wirtschaft dienen, sondern den Menschen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten

der LINKEN)

Sie hingegen – das haben wir auch in Ihrem Redebeitrag gerade wieder gehört – zäumen das Pferd von der anderen Seite auf. Für uns steht der Mensch im Mittelpunkt. Die Frage ist: Wie können wir den Menschen dienen, und wie kann man vom Menschen her darüber nachdenken, welche Gesundheitsforschung betrieben werden muss?

(Rudolf Henke [CDU/CSU]: Sie haben doch

keinen Exklusivvertrag!)

Dann ergeben sich auch noch andere Fragen: Was müssen wir machen, damit die Menschen gesund bleiben? Was müssen wir in der Forschung tun, damit Kranke wieder gesund werden?

Vor dem Hintergrund dieser Sichtweise ergeben sich wieder andere Fragen: Wie sehen die Lebensbedingungen von Menschen aus? Wie schaffen wir Arbeitsplätze und Situationen, mit denen es gelingt, dass Menschen gesund bleiben? Wie schaffen wir entsprechende Lebensbedingungen? Welche Ernährungsforschung und Versorgungsforschung betreiben wir? Wie gehen wir mit Kranken um?

Das sind die Fragen, die sich ergeben, wenn man vom Menschen her denkt, und das finden wir in dem Gesundheitsforschungsprogramm leider nicht. Ihre Antworten sind anders. Zum Teil sind sie nicht vorhanden; die Bereiche Arbeits- und Dienstleistungsforschung gibt es nicht. Es gibt aber ein Kapitel über Versorgungsforschung, Ernährungs- und Präventionsforschung. Wie sehen hier Ihre Antworten aus? Sie können sich hier nicht darauf zurückziehen, dass das nur ein grober Überblick ist. Es muss mehr sein als nur Textbeiträge.

Ich habe alles mit Spannung gelesen. Auf Seite 33 schreiben Sie: Die Bedeutung der gesundheitsökonomischen Forschung hat in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen. Der Bedarf an fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen … wird immer dringlicher. Forschung kann hierfür konsistente Entscheidungsgrundlagen schaffen.

Das ist alles richtig. Jetzt warten wir auf die Vorschläge. Was aber kommt? Nichts. Es folgt das nächste Kapitel: „Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses“. Darin verweisen Sie darauf, dass mehr Lehrstühle für Versorgungsforschung geschaffen werden müssen. Das ist Länderaufgabe. Wo ist die Verantwortung des Bundes? Welche Vorschläge bieten Sie zur Gesundheitsforschung für die Menschen?

(Ulla Burchardt [SPD]: Keine!)

Das Programm ist eine inhaltliche Enttäuschung für uns. Sie machen keine Gesundheitsforschung, sondern Krankheitenerforschung. Das greift zu kurz.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will ein aktuelles Beispiel nennen. Einige Kollegen haben gestern an einer Veranstaltung zur Komplementärmedizin teilgenommen, bei der es auch um Naturheilkunde und alternative medizinische Verfahren ging. 90 Prozent der Menschen, die auf diese Weise behandelt werden, sind sehr zufrieden. Das spielt also gesellschaftlich eine Rolle.

In der „Roadmap Gesundheitsforschung“ von 2007 wird die Komplementärmedizin im Kapitel „Krebserkrankungen“ berücksichtigt. Es wird ernsthaft vorgeschlagen, sich damit zu befassen. In dem vermeintlichen Schwergewicht Gesundheitsforschungsprogramm findet sich kein Wort dazu. Man findet nicht einmal das Wort „Behinderung“. Aber zu einem Gesundheitsforschungsprogramm gehört, wie ich finde, auch Gesundheitsforschung für Menschen mit Behinderung.

Das alles ist sehr enttäuschend. Sie hatten drei Jahre Zeit für das Gesundheitsforschungsprogramm, die Sie nicht genutzt haben. Wir als SPD hatten drei Wochen Zeit, als wir erfuhren, dass die Debatte sehr schnell auf die Tagesordnung gesetzt wird. Wir haben einen Antrag erarbeitet. Er mag nicht vollständig oder auch verbesserungswürdig sein; aber wir sagen ausdrücklich: Wir wollen Gesundheitsforschung, die von den Bedarfen der Menschen ausgeht.

(Beifall bei der SPD)

Damit stehen wir nicht alleine. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen sieht das genauso. Die Frage ist: Was hat der Patient davon? Das gilt auch für die Forschung. Wir wollen einen Aktionsplan Präventions- und Ernährungsforschung. Sie kündigen ihn seit Jahren an. Wir sagen: Legen Sie ihn endlich vor!

Wir wollen die Stärkung der Patientenautonomie, und

wir wollen die klinische Forschung stärken. Was Sie eben an bereits existierenden Maßnahmen aufgeführt haben, Frau Schavan, ist doch auf eine Initiative der SPD zur Förderung nicht kommerzieller und klinischer Forschung zurückzuführen, die wir in guter Zusammenarbeit, Herr Kretschmer, gemeinsam in der Großen Koalition auf den Weg gebracht haben. Sonst wäre nichts passiert.

(Beifall bei der SPD – Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Da waren Ihre Anträge noch qualitätsvoll!)

Wir wollen auch Gender- und Kinderaspekte einbeziehen. Das sind nur einige Beispiele aus unserem Antrag. Sie wollen in den nächsten fünf Jahren 5,5 Milliarden Euro einsetzen. Auch darauf sind wir sehr gespannt. Wo sind eigentlich neue Mittel? Denn Sie zählen Forschungsmittel dazu, die längst bewilligt sind. Entscheidend ist aber nicht das Geld oder die Höhe der Summe, sondern die Frage: Was nutzt letzten Endes den Menschen? Dafür ist die Forschung da. Das Gesundheitsforschungsprogramm erfüllt diesen Anspruch nicht. Bedienen Sie sich gerne aus unserem Antrag. Das tut den Menschen im Lande sicherlich gut.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

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