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Euratom-Vertrag ändern

11.11.2011

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Vizepräsidentin Petra Pau:

Wir sind jetzt nicht im Dialog. Das war die Möglichkeit, auf die Kurzintervention zu antworten. – Das Wort
hat nun der Kollege René Röspel für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

René Röspel (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als der Euratom-Vertrag vor mehr als 50 Jahren geschlossen wurde – wir haben schon ein bisschen dazu gehört –, wurde die Debatte um die Kernenergie – damals hieß es noch „Kernenergie“, später hieß es „Atomkraft“ – einerseits von einer dramatischen Erkenntnis in der Welt und andererseits von einer großen Hoffnung begleitet und getragen.

Die dramatische Erkenntnis ist durch die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki entstanden: Die Atomenergie darf niemals zu militärischen Zwecken genutzt werden, weil die Konsequenzen für die Menschheit verheerend wären. Gleichzeitig gab es die große Hoffnung, dass die friedliche Nutzung der Atomkraft einen Beitrag zur Energieversorgung leisten könnte. Unter den damals herrschenden Eindrücken war es wahrscheinlich folgerichtig, dass man in Europa gemeinsam eine neue Technologie entwickeln und friedlich nutzen wollte und so eben auch gemeinsam verhindern konnte, dass sie zu unfriedlichen Zwecken genutzt werden kann.

Das ist jetzt mehr als 50 Jahre her. Was ist geblieben? Sicherlich die dramatische Erkenntnis über die verheerenden Auswirkungen der militärischen Kernenergienutzung. In den letzten 50 Jahren gab es auch Vorkommnisse wie die in Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima, die dazu geführt haben, dass sich die große Hoffnung auf der anderen Seite aufgelöst hat. Die Nutzung der Atomkraft ist nicht mehr rational begründbar, zumal die Endlagerprobleme nach wie vor nicht gelöst sind.

(Beifall bei der SPD)

In diesen 50 Jahren hat sich also viel verändert, jedoch eines so gut wie gar nicht, nämlich der Euratom Vertrag. Herr Kollege Bareiß, wenn man in diesen Vertrag schaut, kann man lesen – das haben der Kollege Fell und die Kollegin Kotting-Uhl richtig erwähnt –, dass das Ziel des Euratom-Vertrags darin bestehe – ich zitiere ungefähr –, eine mächtige Kernindustrie in Europa auszubauen und die Atomkraft zu fördern.

Wer das nach über 50 Jahren nach wie vor für ein erstrebenswertes Ziel einer gemeinsamen verantwortlichen europäischen Forschungs-, Wirtschafts- und Energiepolitik hält, hat nichts dazugelernt.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Deswegen ist es eindeutig richtig, dass der Euratom-Vertrag mindestens verändert werden muss. Bereits die rot-grüne Bundesregierung hat 2003 im Rahmen der Verhandlungen über den Lissabon Vertrag in einer Anmerkung an den Konvent deutlich gemacht, dass sie glaubt, dass auch der Euratom Vertrag verändert und neu ausgerichtet werden müsse.

2007 hat es unter der Großen Koalition, als der Lissabon-Vertrag in die Schlussphase ging, ein Protokoll nicht nur von der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch von weiteren europäischen Staaten gegeben, die ausdrücklich betonten, dass es eine Neuausrichtung des Euratom-Vertrages geben müsse, weil die Zeit über ihn hinweggegangen sei und die Zielsetzung eine andere sein müsse. Das war im Jahr 2007, also vor Fukushima.

Jedoch hat diese Bundesregierung – es wäre interessant gewesen, zu erfahren, wie weit sie sich eigentlich in der Tradition der außenpolitischen Handlungsweise ihrer Vorgängerregierung aufgehoben fühlt bzw. sie weiterführt– in den letzten sieben Jahren dazu nichts getan.

Die rot-grüne nordrhein-westfälische Landesregierung hat eine Initiative im Bundesrat auf den Weg gebracht, um den Euratom-Vertrag zu verändern und neu auszurichten. Richtig ist – das spiegelt sich im Grünen-Antrag wider, der fast wortgleich ist –, dass die Sonderstellung der Kernenergie bezüglich Baugenehmigungen, Forschungsförderung und anderer Möglichkeiten, die im Euratom-Vertrag fast manifestiert ist, beendet werden muss. Kernenergie kann nicht mehr mindestens bevorzugt behandelt werden, sondern muss eher nachrangig gegenüber Energieeffizienz und erneuerbaren Energien in Europa und in Deutschland behandelt werden.

Eine weitere Forderung in dieser Landesregierungsinitiative aus Nordrhein-Westfalen lautet – anders als Sie es dargestellt haben, Herr Bareiß –, ausdrücklich dafür Vorkehrungen zu treffen und Forschungen zu betreiben, dass die Sicherheitsstandards beim Betrieb von Atomkraftwerken in Deutschland und in Europa möglichst hoch sind. Ebenfalls sollen bei der Entsorgung die Voraussetzungen und die Sicherheitsstandards so hoch wie möglich sein.

All diese Punkte bis hin zur Neuausrichtung des Euratom-Vertrags finden sich im Grünen-Antrag wieder, den wir deswegen in diesen Punkten ausdrücklich begrüßen. Der Text entspricht wortgleich der Initiative der rot-grünen Landesregierung – ergänzt um zwei wichtige andere Punkte. Ein Punkt ist inhaltsgleich mit einer Forderung der Bundesratsinitiative der grün-roten baden-württembergischen Landesregierung, ausdrücklich eine europäische Gemeinschaft für erneuerbare Energien auf den Weg zu bringen.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr gut!)

Auch das ist ein richtiger Schritt. Wir sind in dieser Frage rot-grün-koalitionär und halten es für inhaltlich begründet, das zu unterstützen.

(Beifall bei der SPD)

Zu einem Punkt, der nicht in der Initiative der rot-grünen Landesregierung enthalten ist, haben wir mindestens Diskussionsbedarf, wenn nicht vielleicht sogar DissensEr betrifft die Frage, ob man aus dem Euratom-Vertrag einseitig aussteigen bzw. ihn einseitig kündigen kann.

Ich habe die Bundesregierung im Mai dieses Jahres gefragt, ob sie es für möglich halte, dass Deutschland einseitig aus diesem europäischen Euratom-Vertrag aussteigt. Sie hat diese Frage verneint. In der Antwort der Bundesregierung steht auch, ein Ausstieg aus Euratom sei nur denkbar, wenn es einen Ausstieg der Bundesrepublik Deutschland aus der Europäischen Union gibt.

(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! Was glaubt denn die SPD alles dieser Bundesregierung?)

Uns liegt glücklicherweise auch eine Antwort des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages auf eine Anfrage des Genossen Marco Bülow vor, die eine Reihe guter Argumente enthält. Ich finde, sie sind nachvollziehbar. Darin wird – das hat auch Kollegin Kotting-Uhl gesagt – es ausdrücklich für möglich gehalten, dass Deutschland einseitig aus dem Euratom-Vertrag aussteigt, ohne damit europäisches Recht zu verletzen. Es gibt eine Reihe guter juristischer Argumente.

Es stellt sich eine andere Frage in diesem Bereich – außerhalb der juristischen Unwägbarkeit, ob es möglich ist oder nicht –, nämlich ob es sinnvoll ist, sich aus einem Verein zurückzuziehen, den man eigentlich verändern will. Wir halten das für nicht sinnvoll. Ohne in einen Topf mit der rechten Seite des Hauses geworfen werden zu wollen – in den anderen Punkten unterscheiden wir uns deutlich –, sage ich: Wenn wir Euratom verändern wollen, dann müssen wir das innerhalb Euratoms versuchen, und zwar mit europäischen Bündnispartnern, wobei die Bundesregierung längst aufgerufen ist, diese Bündnispartner zu organisieren.

Es gibt in Europa unterschiedliche Sichtweisen zur Nutzung der Atomenergie. Es gibt Staaten, die aussteigen wollen, und es gibt Staaten, die Atomenergie weiterhin nutzen wollen. Ich finde, dass die Bundesrepublik innerhalb von Euratom die Aufgabe wahrnehmen muss, den Vertrag zu verändern, weg von der Atomenergie hin zu erneuerbaren Energien.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Nehmen wir uns ein Beispiel am erfolgreichsten Atomland der Europäischen Union, das ist Österreich. Österreich hat das beste Atomkraftwerk, das es weltweit gibt:

(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das AKW Zwentendorf!)

Das war das AKW Zwentendorf. Es ist niemals in Betrieb genommen worden.

(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ja, sehr lustig!)

Auf dem Gelände dieses Atomkraftwerks gibt es heute eine sehr große Photovoltaikanlage, die 180 000 Kilowattstunden Strom erzeugt. Wir sollten gemeinsam mit Österreich und anderen Vorbildern versuchen, den Euratom-Vertrag in Richtung einer sonnigen Zukunft zu verändern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir werden diesen Antrag weiterhin sehr interessiert diskutieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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