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Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2011

Rede auf Youtube anschauen

20.01.2012

René Röspel (SPD):

Es wurde leider noch gar nichts zum Thema gesagt, Kollege Kretschmer. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich Ende Dezember 2011 erfuhr, dass wir in der ersten Sitzungswoche im Januar den Expertenbericht „Forschung und Innovation“ beraten, habe ich gedacht: Wow, der liegt ja früh vor. Normalerweise wird er im Februar oder März veröffentlicht, und nun werden wir schon im Januar den EFI-Bericht 2012 beraten. – Als ich dann in die Tagesordnung schaute, habe ich gesehen, dass wir über die Unterrichtung durch die Bundesregierung zum EFI-Gutachten 2011 diskutieren werden. Das heißt, die Bundesregierung hat zehn Monate gebraucht, um eine Stellungnahme zu diesem Gutachten zu erarbeiten.

Dafür könnte ich sogar Verständnis haben. Diese Berichte sind wirklich sehr interessant und enthalten eine Menge Material und Informationen. Man braucht Zeit, dies vernünftig durchzuarbeiten. Aber dann habe ich diese Stellungnahme in die Hand genommen. Sie umfasst nur etwa acht DIN-A4-Seiten. Der Umfang besagt ja nicht alles. Also habe ich gedacht: Gut, vielleicht steht in der Stellungnahme viel Aussagekräftiges zu diesem Bericht. Aber mit so gut wie keinem Wort geht diese Bundesregierung auf das EFI-Gutachten ein. Das ist aber unser Thema.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollege Staatssekretär Rachel, in Ihrem mündlichen Vortrag haben Sie dies leider auch nicht getan; das bedauere ich sehr. Dabei wäre ein Blick in dieses Gutachten ganz interessant gewesen. Im EFI- Gutachten 2011 ist wieder eine Reihe von Kernthemen behandelt worden. Ich will nur eines beispielhaft herausgreifen. Die Kommission nimmt ein zwischen der Bundesregierung und der Landesregierung Schleswig-Holstein aufgetretenes Geschacher auf: Ein zu 50 Prozent vom Land Schleswig-Holstein finanziertes meereswissenschaftliches Institut war in die Helmholtz-Gemeinschaft überführt worden, sodass es nur noch zu 10 Prozent vom Land finanziert werden muss. Die schleswig-holsteinische Landesregierung kann dadurch also Geld sparen. Dieses Vorgehen, für das es politisch und wissenschaftlich überhaupt keinen Grund gibt

(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Na, na, na!)

– doch, die Expertenkommission sagt es mit etwas anderen Worten: keine wissenschaftliche Grundlage–,

(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Stimmt gar nicht!)

hat die Expertenkommission zum Anlass genommen, zu überlegen, ob man die Forschungsfinanzierung nicht auf eine andere Basis stellen sollte. Sie sagt: Ein einheitlicher Finanzierungsschlüssel für Forschung ist nicht nur möglich, sondern auch nötig. Das ist eine wegweisende Formulierung. Ich finde, Forschungspolitik muss sich damit befassen. Es ist beschämend, dass die Bundesregierung darauf überhaupt nicht eingeht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als wir fast auf den Tag genau vor sechs Jahren darüber diskutiert haben, wie die Forschungs-berichterstattung in Deutschland zukünftig aussehen könnte, haben wir hier im Parlament einheitlich gesagt: Ja, es ist richtig, dass ein unabhängiges Gutachtergremium die Situation der Forschung in Deutschland beleuchtet, seine Kritik darstellt und uns Handlungsoptionen aufzeigt. Alle waren sich einig. Die Bundesregierung schreibt in ihrer Stellungnahme, dass dieses Gutachten eine gute Analyse der Stärken und Schwächen des Innovationsstandortes darstellt. Sie schreibt – ich zitiere aus dem Kopf –, dass dieses Gutachten für sie sogar Grundlage für weitere forschungs- und innovationspolitische Entscheidungen sein wird. Allerdings muss man ein solches Gutachten dann auch lesen und Kritik aufnehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir waren uns damals einig, dass wir uns von außen einen Spiegel vorhalten lassen und die Kritik annehmen müssen. Aber die Bundesregierung schaut an diesem Spiegel vorbei.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe zuerst gedacht, es sei ein Zufall, dass das dieses Mal wieder so ist. Aber beim Blick in die anderen Gutachten habe ich festgestellt: Es ist offenbar die Strategie und Systematik dieser Bundesregierung, sich von außen nicht beraten zu lassen und nicht einmal vernünftige Vorschläge anzunehmen.

Im EFI-Bericht 2008 – das ist fast sogar ein positives Beispiel, an dem Sie sich laben könnten – hat als eines der Kernthemen die steuerliche Forschungsförderung sehr breiten Raum eingenommen, also die steuerliche Förderung von Unternehmen, die in Forschung und Entwicklung investieren. Wir als SPD haben das etwas zurückhaltend beurteilt. Wenn man dadurch tatsächlich Investitionen heben kann, ist das ein geeignetes Instrument. Wenn damit Wirtschaftsförderung einhergeht, kann man darüber reden. Aber es kostet viel Geld – die notwendigen Mittel muss man haben –, und es darf nicht zulasten der Projekt- oder Grundlagenforschung gehen. Vor diesem Hintergrund waren wir hier sehr zurückhaltend.

Es waren die beiden Fraktionen von CDU/CSU und FDP und eine Bundesministerin, die sich in Sachen steuerliche FuE-Förderung so weit aus dem Fenster gelehnt haben, dass dem Betrachter schon schwindelig wurde. Wissen Sie, was passiert ist? Nichts. Selbst die Gutachtenempfehlung, die für Sie eigentlich positiv ausgefallen ist und positiv angenommen worden ist, ist nicht umgesetzt worden.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Sie haben sich zwar weit aus dem Fenster gelehnt, aber Sie haben kein Stück zur steuerlichen FuE- Förderung in Deutschland beigetragen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im EFI-Gutachten 2009 war Bildung eines der Kernthemen. Gleich im Vorwort steht ein ganz wichtiger Satz: dass uns die Schwächen des deutschen Bildungssystems nachhaltig belasten und zu einer Bedrohung für die Innovationsfähigkeit Deutschlands werden. Ein bestimmtes Diagramm, das in diesem EFI-Bericht enthalten war, habe ich danach auch in vielen anderen Publikationen gesehen. Hier geht es darum, dass die Bildungschancen der Menschen in Deutschland so sehr wie in keinem anderen Industrieland von der Herkunft abhängig sind. Diese Abbildung macht deutlich: Von 100 gleich begabten Kindern, die aus Akademikerfamilien stammen, werden 83 ein Studium aufnehmen, von 100 gleich begabten Kindern, die aus Arbeitnehmerfamilien stammen, nur 23. Die Herkunft entscheidet also über die Bildungschancen. Der Appell, hier aktiv zu werden, wurde übrigens nicht nur an die Bundesregierung,
sondern auch an die Politik insgesamt gerichtet.

Was haben Ihre Fraktionen gemacht? Sie haben vor diesem Gutachten wie erstarrt verharrt. Der Bundesparteitag der CDU hat sich dann entschieden, sich von der Hauptschule zu verabschieden – völlig ignorierend, dass viele CDU-Bürgermeister in ländlichen Regionen längst Abstand von der Hauptschule genommen haben, weil sie sich diese aus demografischen Gründen nicht mehr leisten können.

Aber es gibt auch Regierungen, die die Ungleichgewichte im Bildungssystem wahrnehmen und handeln. Ich bin sehr froh, dass die neue rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen die Studiengebühren ausgesetzt und zurückgenommen hat. Sie sind nämlich ein wesentliches Kriterium dafür, dass Arbeitnehmerkinder kein Studium aufnehmen. Es gibt also tatsächlich Regierungen, die handeln.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heiner Kamp [FDP]: Ein großer Fehler war das! – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Leider!)

– Nein, das war kein großer Fehler. Vielleicht muss man etwas weniger als ein Abgeordneter, also weniger als 8 000 Euro im Monat, verdienen, um sich vorstellen zu können, dass eine normale Arbeitnehmerfamilie Schwierigkeiten hat, 1 000 Euro pro Jahr für das Studium der Kinder aufzubringen.

(Beifall des Abg. Oliver Kaczmarek [SPD])

Vielleicht ist das eine Wahrnehmungsfrage.

(Heiner Kamp [FDP]:
Ach was! Machen Sie doch jetzt keine Neiddebatte auf! Das ist doch eine reine Neiddebatte!)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Murmann?

René Röspel (SPD):
Aber gerne.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Bitte schön.

Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU):
Lieber Kollege Röspel, es ist nett, dass Sie eine Zwischenfrage gestatten. – Auch Sie haben sich inzwischen ja etwas von dem Gutachten entfernt. Deswegen möchte ich Sie fragen, wie Sie folgende Zusammenfassung, die am Ende des Gutachtens zu lesen ist, bewerten: Die dargestellte Bilanz zeigt: Deutschland ist im Bereich von Forschung und Innovation attraktiver und stärker als je zuvor.

(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Richtig!)

Deutschland hat seine Stellung als dynamischer Innovations- und Forschungsstandort in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Die Bundesregierung arbeitet daran, diesen Erfolgskurs in den kommenden Jahren fortzusetzen und Deutschlands Innovationsführerschaft weiter auszubauen – mit umfangreichen Maßnahmen, zielgerichteter Förderung und übergreifender strategischer Innovationspolitik unter dem Dach der Hightech-Strategie. Denn Bildung, Forschung und Innovationen sind der Schlüssel für Wachstum, Wohlstand und Zusammenhalt und damit eine der wichtigsten Grundlagen für eine gute Zukunft in Deutschland.

Das, was ich zitiert habe, war die komplette Zusammenfassung der Studie. Wie bewerten Sie das?

René Röspel (SPD):
Das kann ich nur voll unterstreichen, weil es in der Tat so ist, dass Deutschland heute besser dasteht als vor 10 oder 15 Jahren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Philipp Murmann [CDU/CSU]: Danke!)

– Das ist noch Teil der Beantwortung. – Im EFI-Gutachten ist übrigens immer eine ganz spannende Tabelle enthalten, die weit über das hinausgeht, was in der Stellungnahme der Bundesregierung zu lesen ist, in der nämlich nur die Entwicklung seit 2005 betrachtet wird. Aus dem Stand: Im EFI-Bericht 2009 können Sie auf Seite 72 die Abbildungen 13 und 14 finden. Dort ist die Entwicklung der Anteile der Ausgaben für Forschung und Entwicklung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, seit 1982 dargestellt. Hier wollen wir uns ja dem vereinbarten Ziel – das sagte auch Staatssekretär Rachel – nähern. Man sieht hier: Als Helmut Schmidt die Regierung an Helmut Kohl abgegeben hat, war dieser Anteil viel höher als zu dem Zeitpunkt, als Helmut Kohl die Regierung an Gerhard Schröder abgab.

(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]:
Wie war es 1950?)

Das heißt, die erste christlich-liberale Koalition hat diesen Bereich heruntergewirtschaftet.

Unter der rot-grünen Bundesregierung, seit 1998, haben wir der Forschung und Entwicklung sowie der Bildung wieder einen Stellenwert gegeben und entsprechende Finanzen dafür zur Verfügung gestellt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist richtig und gut, dass die Große Koalition das fortgesetzt hat und Sie das jetzt auch tun. Deswegen kann ich das unterstreichen.

(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Wir steigern das!)

Urheber waren aber nicht Sie, sondern andere.

Ich denke, damit ist Ihre Frage in aller Kürze ausreichend beantwortet.

Wenn man sich das vorletzte EFI-Gutachten, das von 2010, anschaut, dann sieht man: Eines der Kernthemen ist die Föderalismusreform. Seit der Föderalismusreform hat der Bund nicht mehr die Möglichkeit, den Ländern und sogar den Kommunen finanzielle Mittel für Bildung zur Verfügung zu stellen. Wer in den Kommunen tätig ist, der weiß, dass sie danach lechzen. Das Ganztagsschulprogramm der rot-grünen Bundesregierung aus dem Jahre 2003 hat zu über 7 000 Ganztagsschulen geführt und den Kommunen geholfen. Das ist jetzt nicht mehr möglich.

Im EFI-Bericht 2010 findet sich zum ersten Mal die Forderung, dass das Kooperationsverbot dringend beseitigt werden muss. Diese Forderung, die auch im aktuellen Bericht steht, ist an uns alle gerichtet, weil wir das in der Großen Koalition beschlossen haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Hier muss etwas passieren. Auch dazu hätte ich mir eine Äußerung seitens der Bundesregierung gewünscht. Vielleicht hören wir ja aus den Regierungsfraktionen gleich noch etwas dazu. Das ist ein dringender Appell der Expertenkommission. Dem sollten wir uns annehmen.

Wir als SPD haben das getan. Wir werden in der nächsten Woche einen Antrag in Richtung Aufhebung
des Kooperationsverbotes einbringen, und Sie als Regierung sind herzlich eingeladen, an diesem vernünftigen Antrag mitzuwirken und ihn zu unterstützen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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