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Erste Lesung des Gesetzentwurfs Patientenverfügung

21.01.2009

Rede zur ersten Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Bosbach, René Röspel, Katrin Göring-Eckardt und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verankerung der Patientenverfügung im Betreuungsrecht (Patientenverfügungsgesetz – PatVerfG) (Drs. 16/11360)


An dieser Stelle können Sie sich die Rede auf Bundestags-TV anschauen.


René Röspel (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ja, Herr Kauch, wir haben jetzt fünf Jahre diskutiert.

Im Jahr 2004 hat die Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ ihren Bericht vorgelegt und in ihm unter anderem eine Studie der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz zitiert, in der es darum ging, welche Ängste und Sorgen die Menschen umtreiben, wenn sie an ihre letzte Stunde denken: Menschen wollen nicht einsam und alleingelassen sterben, sie wollen keinen schmerzhaften Tod, bis zuletzt an Apparaten hängend. Für die meisten dieser Fälle ist die Patientenverfügung übrigens nicht die passende Antwort.

Wir haben fünf Jahre lang diskutiert. Das war für die Gesellschaft gut, weil dieses Thema breiter und intensiver erörtert worden ist. Im Bereich der Palliativ- und Hospizarbeit haben wir schon einiges, wenn auch noch keinen guten Zustand erreicht. Ich bekenne, dass auch ich in den letzten fünf Jahren viel dazugelernt und meine Position mehrfach verändert habe. Bis heute habe ich eine Reihe von Kompromissen akzeptiert. Ich weiß nun nicht, ob ich die richtige Lösung vorschlage; aber ich bin mir sicherer geworden.

Die Zahl der Patientenverfügungen wird zunehmen, weil die Menschen hoffen, dass sie damit ihre letzte Stunde besser regeln können. Diese Hoffnungen sollten wir nicht enttäuschen. Die Menschen haben das Recht, ihre Entscheidung selbst zu treffen.

(Beifall des Abg. Rolf Stöckel [SPD])

Wir sollten auch dazu beitragen, dass Ärzte und Pflegende mehr Klarheit und Rechtssicherheit in der Frage bekommen, wie sie mit den Menschen in der letzten Stunde ihres Lebens umgehen.

Patientenverfügungen sind Vorausverfügungen für eine Situation, in der man sich noch nicht befindet. Ein Gesunder oder noch nicht Erkrankter hat darin festgelegt, wie andere ihn behandeln oder was sie unterlassen sollen, wenn er nicht mehr selbst entscheiden kann. Er urteilt über eine Situation, in der er sich noch nicht befunden hat, die er noch nicht am eigenen Leibe erfahren, sondern allenfalls bei Verwandten erlebt oder durchlitten hat, oder die er vielleicht nur in seiner Phantasie durchgespielt hat. Dass sich die Patientenverfügung auf einen Vorgang in der Zukunft bezieht, ist ihre große Schwachstelle. Es kann sein, dass der Kranke dann, wenn die Situation eingetroffen sein wird, genauso entscheiden würde, wie er es als Gesunder aufgeschrieben hat; aber es kann eben auch sein, dass er sich ganz anders entschiede.

Es gehört zur Lebenserfahrung, dass man in Gesprächen oder auch im unmittelbaren Erleben mitbekommt, dass sich Menschen im Verlauf einer Krankheit verändern, andere Entscheidungen treffen und andere Gewichtungen vornehmen oder eine andere Lebensperspektive entwickeln.

Meine Zielsetzung ist, mit dem Antrag, den wir heute einbringen, nach Möglichkeit sicherzustellen, dass der Patient in der Krankheitssituation so behandelt oder eben nicht behandelt wird, wie er es selbst entscheiden würde.

Dafür sind aus meiner Sicht zwei Voraussetzungen erforderlich: Erstens muss der Patient mögliche Krankheitsverläufe und ihre Konsequenzen intensiv mit seinem Arzt diskutieren und sich überlegen, welche Entscheidung er in welchem Fall treffen würde. Die zweite Voraussetzung ist – das ist wichtig für die, die als Dritte entscheiden müssen –, dass eine lesbare Patientenverfügung bzw. eine klare Handlungsanweisung verfasst werden muss, die später von Dritten verstanden und befolgt werden kann.

(Beifall der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Nur so kann der Wille wirklich umgesetzt werden. Jetzt gehe ich einen Beispielfall durch – ich weiß, dass das zu Widerspruch führen wird –: Jemand schreibt in seiner Patientenverfügung: „Wenn ich mal dement bin, möchte ich keine medizinische Behandlung mehr.“

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie diese Patientenverfügung zustande gekommen ist. Die erste ist der Idealfall: Der Verfasser hat sich – möglicherweise wegen des Schicksals eines nahen Verwandten – intensiv mit der Situation befasst, sich medizinisch beraten lassen und mit Demenz auseinandergesetzt und betrachtet das, was er aufgeschrieben hat, als seine Entscheidung. Er ist fest entschlossen, dass sie so gelten soll, wie er es aufgeschrieben hat.

Die zweite Möglichkeit ist nicht der Idealfall. Der Verfasser – man denke an Terry Schiavo – hat aufgrund einer spontanen Begebenheit – möglicherweise durch eine Sendung im Fernsehen oder von einem Besuch im Altenheim beeindruckt – ohne Information die Entscheidung getroffen, dass er so nicht leben möchte, und verfasst eine entsprechende Patientenverfügung.

Wie soll sich ein Arzt oder eine Ärztin verhalten, der oder die mit dem Patienten in einer Krankheitssituation konfrontiert wird und diese Patientenverfügung vorfindet, und zwar ohne die Hintergründe ihres Zustandekommens zu kennen, und nicht weiß, welche der Möglichkeiten zutrifft: Ist die Patientenverfügung aufgrund der notwendigen Informationen zustande gekommen und entspricht sie wirklich dem, was er als seine feste Entscheidung aufgeschrieben hat? Der im letzten Jahr eingebrachte Stünker-Entwurf wird aus meiner Sicht die Unsicherheit noch vergrößern. Unserem Entwurf wurde vorgeworfen, dass er ein Beschaffungsprogramm für Vormundschaftsgerichte wäre.

Ich glaube vielmehr, dass der Entwurf von Stünker, Kauch und Kollegen ein Beschaffungsprogramm für Vormundschaftsgerichte sein wird, weil der Arzt nämlich nicht die Entscheidung treffen wird, wie eine Patientenverfügung, die nicht hinreichend belegt ist, auszulegen ist. Er wird darauf verweisen, dass das nicht seine Entscheidung ist, und letztlich werden die Vormundschaftsgerichte darüber entscheiden müssen.

Wenn die Patientenverfügung nach dem Stünker-Entwurf umgesetzt werden muss, wie ich es vorhin beschrieben habe, dann wird wie im zweiten Fall die Möglichkeit des Irrtums und der Leichtfertigkeit in Kauf genommen. Muss sie nicht umgesetzt werden – ich bin gespannt, wie diese Frage in der Anhörung und durch die möglicherweise noch folgenden Redner beantwortet wird –

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kauch?

René Röspel (SPD):
Ja, gerne.

Michael Kauch (FDP):
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir genau diesen Problemfall noch über die von Ihnen beschriebene Problematik hinaus aufgegriffen haben, indem wir im Gesetzentwurf des Abgeordneten Stünker und anderer vorgesehen haben, dass stets der aktuelle Wille Berücksichtigung finden muss, und dass in der Begründung zu diesem Gesetzentwurf der aktuelle Wille in Verbindung mit dem Demenzfall ausdrücklich näher beschrieben worden ist?

(Zuruf des Abg. Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU])

Darin steht nämlich, dass wir an dieser Stelle – es geht um die Auslegung, Herr Weiß; Sie wissen selbst, dass die Begründung dabei eine Rolle spielt – im Demenzfall die aktuellen, auch nonverbalen Äußerungen des Patienten beachten müssen. Der Demenzfall ist der schwierigste Fall, vor dem wir stehen, weil es dabei zu Persönlichkeitsveränderungen kommt. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass genau dieser Fall in unserem Gesetzentwurf sehr ausführlich – möglicherweise ausführlicher als in Ihrem Entwurf – behandelt worden ist?

René Röspel (SPD):
Er ist nicht ausführlicher als in unserem Gesetzentwurf behandelt worden, jedenfalls was die Konsequenzen anbelangt. Ich habe das sehr wohl interessiert und nachdenklich gelesen. Aber im Prinzip ist genau dieser Punkt bei Ihrer Auslegung das Problem. Wie kann der Patient, der sich sehr wohl entschieden hat – das ist der Idealfall, den ich zuerst beschrieben habe –, dass er im Demenzfall auf keinen Fall behandelt werden will,

(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Das ist der Punkt!)

sein Selbstbestimmungsrecht durchgesetzt bekommen, wenn Sie – wie jetzt und wie es in den Diskussionen häufiger zu hören ist – anfangen, es zu relativieren? Sie sagen nämlich, der aktuelle Behandlungswille solle sehr wohl eine Rolle spielen. Wie soll aber der Arzt, der den Patienten vorher nicht gesehen hat und auch nicht die Hintergründe kennt, die zu dessen Entscheidung geführt haben, zwischen dem aktuellen Willen und der selbstbestimmten Entscheidung abwägen, die der Patient einmal getroffen hat und zu der er fest entschlossen ist?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Wenn Sie so argumentieren, passt das Etikett Selbstbestimmungsrecht und Kenntnisnahme nicht auf den Gesetzentwurf; denn die Erfahrung ist, dass die Menschen sagen: Der Stünker/Kauch-Gesetzentwurf bietet uns die Sicherheit, dass das, was ich aufgeschrieben habe, umgesetzt wird. – Gerade haben Sie genau das relativiert. Deswegen ist der Gesetzentwurf, den Sie unterstützen, nicht geeignet, das Selbstbestimmungsrecht und dessen Umsetzung zu gewährleisten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden in der Anhörung noch darüber diskutieren. Aber ich bin froh über Ihre Zwischenfrage, weil sie deutlich macht, dass man sich Ihren Gesetzentwurf genauer anschauen muss.

Eine bessere Lösung – auch im Sinne des Selbstbestimmungsrechtes – bietet aus meiner Sicht der von den Kollegen Bosbach, Göring-Eckardt, Fricke und mir erarbeitete Gesetzentwurf. Wer fest entschlossen ist, unabhängig von Art und Stadium der Krankheit und hoffentlich nicht gegen alle Vernunft

(Zuruf des Abg. Rolf Stöckel [SPD])

– das kann ich nicht beurteilen; gegen meine Vernunft jedenfalls –, bestimmte Handlungsanweisungen zu verfügen, sich ärztlich beraten und seinen Beschluss notariell beurkunden lässt, der bekommt eine deutlich höhere Sicherheit, dass seine Patientenverfügung auch umgesetzt wird; denn der Arzt bekommt deutlich mehr Hinweise auf die Genese der Patientenverfügung.

Gleichzeitig bietet unser Gesetzentwurf – das ist mir mindestens genauso wichtig – einen besseren Schutz vor Fehlinterpretation. Die meisten Patientenverfügungen beziehen sich auf tödliche Erkrankungen oder auf dauerhaften Bewusstseinsverlust. Diese Formulierung lässt sich auch im Entwurf bzw. in der Broschüre des BMJ finden. Die meisten Patientenverfügungen bleiben nach unserem Gesetzentwurf – entgegen allen Behauptungen – verbindlich. Wer das Selbstbestimmungsrecht klarer umgesetzt wissen sowie Fehlinterpretationen und Irrtümer, die Konsequenzen für das Leben haben, verhindern will, muss den Gesetzentwurf von Herrn Bosbach und Kollegen unterstützen.
Vielen Dank.

Die Schwerpunkte meiner Arbeit: