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Wissenschaftliches Fehlverhalten umfassend bekämpfen - Antrag der Grünen springt zu kurz

24.03.2011

Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrages der Grünen „Wissenschaftliche Redlichkeit und die Qualitätssicherung bei Promotionen stärken“ am 24. März 2011 (TOP 16)

ZVertrauen und Redlichkeit sind wesentliche Voraussetzungen für eine funktionierende moderne Wissenschaft und Forschung. Wissenschaftliches Fehlverhalten ist daher ein Grundproblem, für alle Fächer und auf allen Stufen des akademischen Lebens. Ob die neuen Medien und das inzwischen sprichwörtliche "Copy and Paste" dem Fehlverhalten in Wissenschaft und Forschung Vorschub leisten oder aber ob im gleichen Zuge die Prüferinnen und Prüfer nicht die neuen Medien zu einer verbesserten Kontrolle insbesondere von Qualifikationsarbeiten einsetzen können, ist nur schwer zu beantworten.

Ungeachtet dessen kann man festhalten, dass jeder Fall von wissenschaftlichem Fehlverhalten dem Forschungs- und Innovationsstandort Deutschland Schaden zufügt. Dieser Schaden ist umso größer, wenn nur halbherzig betrügerisches bzw. falsches wissenschaftliches Verhalten als solches benannt wird und Fehlverhalten keine schmerzhaften Folgen nach sich zieht.

Zur wissenschaftlichen Redlichkeit zählt insbesondere, dass man eigene Erkenntnisse und eigenes Wissen klar und eindeutig von dem Wissen anderer abgrenzt, wenn man es zum eigenen Nutzen verwenden will. Leider haben wir in der Vergangenheit feststellen müssen, dass dieser Grundsatz der Wissenschaft immer wieder verletzt wird. Schlimmer noch: Einige Personen haben in den Debatten der letzten Wochen und Monate gar infrage gestellt, ob dieser Grundsatz und die kategorische Ablehnung und Ächtung des Diebstahls von geistigem Eigentum überhaupt groß öffentlich diskutiert werden sollte.

Viele Menschen und Einrichtungen haben in den letzten Wochen deutlich gemacht, was davon zu halten ist, wenn Partei- und Regierungsvertreter systematisches wissenschaftliches Fehlverhalten etwa mit dem Abschreiben in der Schule gleichsetzen. Die Bagatellisierung von Urheberrechtsverstößen, von Falschaussagen und von Betrug fällt eindeutig auf diejenigen zurück, die in den letzten Monaten den "Kronprinzen der CSU" vor seiner gerechten Strafe schützen wollten. Der Aussage des Bayreuther Juraprofessors Oliver Lepsius: "Wir sind einem Betrüger aufgesessen" ist in ihrer Deutlichkeit kaum noch etwas hinzuzufügen. Ich hoffe eindringlich, dass sich in der ehemaligen "Law-and-Order"-Fraktion von CDU/CSU und insbesondere in der Unions-Arbeitsgruppe Bildung und Forschung mehr Personen für dieses Verhalten des Herrn Guttenberg schämen als nur Frau Bundesministerin Schavan.

Unabhängig von dem politischen Skandal, dass Frau Bundeskanzlerin Merkel die Affäre Guttenberg mit dem nachgerade frechen Hinweis, sie habe keinen wissenschaftlichen Mitarbeiter eingestellt, kleinreden wollte, müssen wir uns fragen, welche Schlussfolgerungen wir aus den Erfahrungen der letzten Monate ziehen. Die Grünen tun daher grundsätzlich das Richtige, wenn sie das Thema mit einem Antrag aufgreifen und nicht mit dem überfälligen Rücktritt von Herrn Guttenberg auf sich beruhen lassen.

Wenn wir heute über wissenschaftliche Redlichkeit sprechen, so müssen wir zunächst anerkennen, welche Maßnahmen von der Wissenschaft selbst in den letzten Jahren auf den Weg gebracht wurden. Alle Wissenschaftsorganisationen haben konsequent Instrumente entwickelt, eingesetzt und Selbstverpflichtungen präsentiert, um gegen wissenschaftliches Fehlverhalten vorzugehen. Hierdurch haben sie wesentliche Beiträge zur Qualitätssicherung im Wissenschaftsbetrieb geleistet und versucht, Schaden vom Forschungsstandort Deutschland abzuwenden.

Dies hat aber leider nicht verhindert, dass wir immer wieder von teilweise spektakulären Wissenschaftsskandalen lesen und hören mussten. Das Problem des wissenschaftlichen Fehlverhaltens ist natürlich kein nationales Phänomen. Zu den bekanntesten Fällen international zählt sicherlich der Betrug des Klonforschers Hwang. In Deutschland hat in den letzten Monaten neben Herrn zu Guttenberg vor allem der Skandal im Umfeld des Forschungszentrums Borstel sowie die Betrugsfälle im Sonderforschungsbereich "Stabilität von Randzonen tropischer Regenwälder in Indonesien" an der Universität Göttingen für Schlagzeilen gesorgt.

Es ist für uns als SPD-Bundestagsfraktion klar, dass diese Fälle ein Nachdenken über bessere Rahmenbedingungen zum Kampf gegen wissenschaftliches Fehlverhalten nötig machen. Folglich haben wir das Thema der heutigen Beratungen bereits seit Längerem auf der Tagesordnung. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir im Grundsatz die Initiative der Grünen, obgleich der heute zur ersten Lesung vorliegende Antrag den Eindruck eines "Schnellschusses" nicht komplett aus der Welt räumen kann. Oder um es anders zu sagen: Herr zu Guttenberg sollte nicht der alleinige Anlass sein, sich grundsätzlich mit dem Thema "Wissenschaftliches Fehlverhalten" auseinanderzusetzen. Das Thema ist zu groß, um es an einem Hochstapler bzw. Betrugsfall festzumachen.

Wir wünschen uns eine deutlich umfassendere und grundsätzlichere Debatte über wissenschaftliches Fehlverhalten. Dies schließt ein, dass wir uns nicht nur auf Promotionen beschränken, wie es der Antrag der Grünen schon in seinem Titel ankündigt. Fehlverhalten gibt es auch bei Habilitationen, bei Bachelor- und Masterarbeiten oder auch bei anderen wissenschaftlichen Arbeiten. Es gibt akademisches Ghostwriting, und es werden in einigen Fällen wissenschaftliche Daten gefälscht. Auch unethische Handlungen, etwa im Rahmen der Forschung mit Probanden, stellen eine Form von wissenschaftlichem Fehlverhalten dar.

Warum die Grünen mit ihrem Antrag nun ausschließlich auf Promotionen abstellen, ist uns nicht klar, und folglich können wir dem Antrag auch nicht zustimmen. Wir wollen mehr als nur eine an die Guttenberg-Debatte anschließende Sonderdebatte über wissenschaftliches Fehlverhalten bei Promotionen. Wir müssen uns anlässlich des Guttenberg-Betrugs einmal mehr grundsätzliche Fragen zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten stellen und in allen genannten Bereichen solide Vorschläge unterbreiten, wie wir gegen Fehlverhalten in Wissenschaft und Forschung vorgehen können.

Um ein Beispiel zu nennen: Welche Auswirkungen hat der verstärkte Fokus auf die Einwerbung von Drittmitteln auf das Auftreten von wissenschaftlichem Fehlverhalten? Der Begriff "Drittmittel" fehlt im Antrag der Grünen komplett. Unklar bleibt auch, welche der von den Grünen geforderten Maßnahmen geeignet sind, um gegen das akademische Ghostwriting vorzugehen. Das Problem wird zwar an einer Stelle erwähnt; die Frage, wie der Kampf gegen den beständig wachsenden Markt der gekauften Qualifizierungsarbeiten verstärkt bzw. überhaupt erst einmal aufgenommen werden kann, wird jedoch nicht beantwortet. Diese Aspekte zeigen, dass die Grünen leider das Thema nicht in einem umfassenden Sinne problematisieren und folglich aus unserer Sicht der Antrag nicht hinreichend für eine Zustimmung ist.

Wir werden nach gründlichen Debatten in unserer Fraktion ebenfalls einen Antrag vorlegen und in die kommenden Beratungen einbringen. Wir springen aber nicht so kurz wie die Grünen: Wir wollen uns umfassend mit dem Problemfeld des wissenschaftlichen Fehlverhaltens auseinandersetzen und politische Lösungen präsentieren. Hierbei müssen wir auch die Bagatellisierung von wissenschaftlichem Fehlverhalten durch Mitglieder des Deutschen Bundestages kritisch beleuchten. Dies ist neben dem Verhalten der Bundeskanzlerin ein ganz eigener Skandal, mit dem wir uns noch ausführlicher befassen werden.

Die Schwerpunkte meiner Arbeit: