Neuordnung des Gentechnikrechts

25.05.2004

Rede zur Ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Gentechnikrechts
und
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: „Wahlfreiheit für die Landwirte durch Reinheit des Saatgutes sicherstellen“.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege René Röspel, SPD-Fraktion.

René Röspel (SPD):

Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wir beobachten in Fragen der Gentechnologie eine große Verunsicherung. Zum einen lehnen viele Menschen gentechnisch veränderte Lebensmittel ab und fragen daher, warum die unerwünschten gentechnisch veränderten Pflanzen in den Anbau kommen sollen; zum anderen sind aber auch die Bäuerinnen und Bauern verunsichert, da sie, selbst wenn sie selber nicht auf die neuartigen Saatgutangebote zugehen wollen, durch Pollenflug, Aussamung und Vermischung bei Ernte und Transport davon betroffen sein könnten.

Das ist ein Zitat aus einem der vielen Schreiben, die wir dieser Tage bekommen. Ich wollte heute nicht über Ideologie sprechen. Das ist Aufgabe der CDU/CSU und der FDP.

(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh! - Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ja, so ist es!)

Das ist kein Schreiben von einer ökoradikalen Splittergruppe, sondern dieses Schreiben haben die westfälischen Bundestagsabgeordneten vom Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Alfred Buß, erhalten.

(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

Er hat den Beschluss der Landessynode aus dem letzten Jahr beigefügt, der seinen Gipfel darin findet, auf dem Ackerland der Kirche keinen Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen zuzulassen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was interessiert die CDU schon die Kirche?)

Ich halte diesen Beschluss für richtig, denn auch meine Skepsis bleibt. Die gentechnische Veränderung von Pflanzen ist ein Eingriff in die Evolution, dessen Auswirkungen wir nur sehr schwer beurteilen können, vor allem, wenn wir zum Beispiel ein Gen aus einem Bodenbakterium ausbauen und in eine höhere Pflanze übertragen. Das ist ein Prozess, der in der Natur wahrscheinlich nie vorkommen wird. Wenn er vorgekommen ist oder vorkommt, dann ist das unproblematisch, weil es sich um einen Einzelfall handelt. Wenn aber Myriaden von gezielt veränderten Pflanzen auf einem Feld stehen, dann hat das eine vollkommen andere Qualität. Wir wissen letztlich nicht, was über die Jahre betrachtet an Problemen entstehen kann.

Es gibt eine ganze Reihe von Argumenten der Befürworter der Grünen Gentechnik. Die tauschen wir regelmäßig aus: Hilfe bei der Bekämpfung des Welthungers, höhere Ernteerträge, weniger Chemieeinsatz und Schädlingsbefall usw.

(Ulrich Heinrich [FDP]: Ist das nichts?)

All diese Argumente sind weder endgültig belegt noch endgültig widerlegt.

Ähnlich ist es mit den Argumenten der Gegner oder Skeptiker: größere Abhängigkeit von Konzernen, Schaffung von Resistenzen bei Schädlingen, Schädigung von Nützlingen, Auskreuzungen in die Umwelt, reduzierte Ernteerträge usw. Auch diese Argumente sind weder endgültig belegt noch widerlegt. Das heißt, es findet das übliche Spiel statt, dass Sie mir Ihre Gutachten oder wissenschaftlichen Arbeiten vorlegen, die ich auseinander nehme, und umgekehrt.

In allen Fällen gibt es mehr oder weniger gute Hinweise, die ich einfach zur Kenntnis nehme. Aber was ist eigentlich schlimmer? Wenn die Befürworter in einigen Jahren mehr Recht bekommen oder wenn die Gegner Recht behalten? Was ist denn, wenn die Skeptiker in zehn oder 20 Jahren Recht bekommen,

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Damit ist es zu spät!)

es aber dann schon zu spät ist, weil sich freigesetzte Pflanzen nicht mehr zurückholen lassen, weil bäuerliche Strukturen zusammengebrochen sind oder weil althergebrachtes Saatgut verloren gegangen ist?

Vor diesem Hintergrund sehe ich übrigens auch den Erprobungsanbau von gentechnisch verändertem Mais auf 300 Hektar in 30 Betrieben in Sachsen-Anhalt, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Thüringen, Sachsen und Baden-Württemberg als sehr kritisch an. Ich halte es für falsch und unklug, dass die Standorte nicht mindestens für Landwirte transparent gemacht werden. Frau Künast hat das angedeutet. In einigen der genannten Länder gibt es nämlich Regionen, insgesamt 33, in denen die Bauern ausdrücklich gentechnikfrei produzieren wollen. Ich hoffe, dass kein Freisetzungsversuch in deren Nähe stattfindet, weil sie dann nämlich in Schwierigkeiten kommen.

Ich halte es geradezu für fatal, wenn die CDU/CSU in ihrem Antrag auf Drucksache 15/2822 fordert, umgehend einen großflächigen Erprobungsanbau in Deutschland zu starten. Sie sind offenbar nicht in der Lage, zu erkennen, dass wir nicht über die notwendigen Kapazitäten für eine vernünftige Begleitforschung zu einem großflächigen Anbau verfügen. Sie wollen gleich mit der Tür ins Haus fallen und Fakten schaffen. Wenn dies nicht zutrifft, dann müssten Sie das in Ihrem Antrag besser erklären.

Insofern ist es richtig und verantwortungsvoll, mit der Gentechnologie vorsichtig voranzugehen. Genau diesen Weg verfolgen wir mit dem Gesetzentwurf der rot-grünen Bundesregierung. Wir haben darauf zu reagieren, dass die EU-Kommission die Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen neuerdings genehmigt, und wir müssen europäisches Recht in deutsches Recht umsetzen. Unser Ziel ist es, den Verbrauchern echte Wahlfreiheit zu ermöglichen, und wir wollen eine Koexistenz zwischen den verschiedenen Anbauformen schaffen.

(Beifall des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Eine zentrale Rolle spielt sicherlich die Haftungsfrage. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir feststellen, dass wir in diesem Punkt keine absolute Gerechtigkeit herstellen können. Entweder schützt man die Landwirte, die Gentechnik nutzen wollen - das ist offenbar die Intention der Opposition -, oder man legt den Schwerpunkt auf den Schutz derjenigen, die auf Gentechnik verzichten wollen.

(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

Eine solche Entscheidungslage ist aber im täglichen Leben nicht unüblich.

Lassen Sie mich das an einem simplen Beispiel aus dem berühmten täglichen Leben verdeutlichen. Ein Hundehalter geht mit seinem Hund spazieren. Der Hund ist gut ausgebildet und hat einen friedlichen Charakter. Er hat noch nie Probleme gemacht und er ist angeleint. Trotzdem springt er ein Kind an und zerreißt dessen Hose. Nach deutschem Recht muss der Hundehalter die Hose ersetzen, obwohl ihn eigentlich keine Schuld trifft. Er hat sich nämlich an alle Regeln gehalten, die ihm auferlegt sind. Eigentlich ist das ungerecht. Es hat aber nichts mit willkürlicher Rechtsprechung zu tun; viel ungerechter wäre es nämlich, das Kind auf seiner zerrissenen Hose sitzen zu lassen und den Schaden nicht zu ersetzen.

(Zuruf von der SPD: Das will die Opposition!)

Das deutsche Recht entscheidet sich für den Schutz des Opfers und die Hilfe für den Geschädigten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wir wollen dieses Prinzip auch auf die Gentechnik auf dem Acker übertragen. Ein Landwirt wird sich frei entscheiden können, ob er gentechnisch veränderte Pflanzen anbaut oder auf Gentechnik verzichtet. Wenn aber ein Landwirt, der gentechnikfrei anbauen will, auf seiner Ernte sitzen bleibt, weil vom Gentechnikbauern nebenan die Gentechnikpflanzen in einem Maße "herübergeweht" sind, dass er seine Ernte nicht mehr als gentechnikfrei verkaufen kann, dann muss dieser Bauer seinen Schaden ersetzt bekommen.

In dieser Frage besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen Regierung und Opposition. Die FDP fordert in ihrem Antrag auf Drucksache 15/2979: "Es haften nur die Landwirte, die die Koexistenzregeln nicht konsequent einhalten." Dieser Vorschlag bedeutet: Wenn der Gentechnikbauer alle Regeln befolgt, dann bleibt der gentechnikfreie Bauer auf seiner verunreinigten Ernte sitzen. Bezogen auf mein Beispiel aus dem alltäglichen Leben bedeutet das: Wenn der Hundehalter alle Regeln befolgt, dann bleibt das Kind auf der zerrissenen Hose sitzen.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ein Blödsinn!)

Wir wollen das nicht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir auch nicht!)

Rot-Grün will, dass es dabei bleibt, dass der Hundehalter dem Kind eine neue Hose kauft. Wir wollen auch, dass der Schaden des Bauern, der gentechnikfrei produzieren will, ersetzt wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Am Anfang meiner Rede zitierte ich den Brief des Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, der die Unsicherheit auch der Landwirte schilderte. Wir wollen mit unserem Gesetzentwurf die Wahlfreiheit der Verbraucher stärken und auch die geschilderte Unsicherheit der Landwirte abbauen. Der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen darf nicht zum Nachteil derer geschehen, die darauf verzichten wollen. Ich bin überzeugt, dass die Landwirte und die Verbraucher merken werden, wer wirklich an ihrer Seite steht.

Den FDP-Abgeordneten wünsche ich, dass sie keinen Hunden begegnen, die ihre Hosen zerbeißen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU/CSU: Mein Gott, was für ein Blödsinn!)