Zukunftsfähige Forschung in Europa

10.03.2006

Rede zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista Sager, Hans-Josef Fell, Kai Boris Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN "Zukunftsfähige Forschung in Europa stärken"

René Röspel (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist immer wieder gut und schön, über Forschung und Wissenschaft, Bildung und Entwicklung in diesem Hause sprechen zu können, vor allen Dingen freitags nachmittags vor „vollem“ Haus, wenn man schon überlegen muss, wie man gleich nach Hause kommt. Es macht Spaß, hier über Forschung zu sprechen, vor allen Dingen weil es ein Bereich ist, in dem wir in den letzten Jahren auch von dieser Stelle als Bund eine Menge haben bewegen können. Ich glaube, dass wir auch in den nächsten Jahren gemeinsam eine Menge bewegen können.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Bildung und Forschung sind von zentraler Bedeutung für die Zukunft unserer Gesellschaft. Deswegen ist es gut, dass dieses Thema immer wieder Eingang in dieses Haus findet.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben auf ihrem Gipfeltreffen im März 2000 in Lissabon die so genannte Lissabonstrategie beschlossen. Danach soll Europa - ich zitiere - „bis zum Jahr 2010 der wettbewerbsfähigste und dynamischste wissensbasierte Wirtschaftsraum der Welt“ werden.

(Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: Toll!)

Deutschland war in diesem Fall sogar ein bisschen schneller. Wir haben in einem Kraftakt seit 1998 die Bedingungen für Forschung und Entwicklung in diesem Land deutlich verbessert. Die Bruttoinlandsausgaben für Forschung und Entwicklung lagen 1998 bei 45 Milliarden Euro und im vorletzten Jahr bei 55 Milliarden Euro. Das bedeutet eine Steigerung um 21 Prozent. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat 1998 für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologieentwicklung 7,2 Milliarden Euro ausgegeben; 2005 lagen die Ausgaben bei 9,9 Milliarden Euro. Das ist eine Steigerung von 37,5 Prozent.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wenn Sie mir diesen Diskurs erlauben - Herr Barth, Sie sind ja noch neu in diesem Haus -: Das sind Zahlen, die sich jede FDP-Regierung erträumt hätte. Das haben Sie in den letzten Jahren Ihrer Regierungszeit für dieses Land leider nicht erreicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Uwe Barth [FDP]: Ich habe ja noch nie regiert!)

- Die FDP hat noch nie regiert? Dann schauen Sie einmal nach. Die FDP ist die Partei, die am längsten in diesem Land an der Regierung gewesen ist.

(Uwe Barth [FDP]: Aber ich nicht!)

Mit den Folgen müssen wir seit 1998 umgehen.
Wenn Sie sich einmal anschauen, wie sich die Wissenschaftsorganisationen äußern - die Helmholtz-Gemeinschaft lobt die Aktivitäten der letzten Jahre, die Fraunhofer-Gesellschaft und die Max-Planck-Gesellschaft äußern sich sehr zufrieden über die Zuwächse in den letzten Jahren -, dann würden Sie diese Situation anders darstellen, als Sie es vorhin getan haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

In diesem Zusammenhang bietet es sich an, einmal deutlich zu machen, welche zentrale Rolle Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dabei spielen, diese Gesellschaft moderner und zukunftsfähiger zu machen. Wir haben mit unserem alten Koalitionspartner Bündnis 90/ Die Grünen die Trendwende 1998 eingeleitet und Bildung und Forschung wieder zu einem Toppthema gemacht. Wir sind froh, dass wir diese Politik mit dem neuen Koalitionspartner CDU/CSU gleichermaßen erfolgreich in der Zukunft gestalten können. Diese Kontinuität ist wichtig für das Land.

(Beifall bei der SPD)

Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung. Sie haben relativ polemisch - das ist für einen Physiker überraschend - in Sachen Energietechnologie argumentiert. Wir sind in Sachen Kernfusion sicherlich näher bei den Grünen. Das ist gar keine Frage.

(Uwe Barth [FDP]: Das wundert mich nicht!)

Schauen Sie sich einmal an, welche Bedeutung die Kernenergie noch hat, obwohl es am 26. April vor 20 Jahren die Katastrophe von Tschernobyl gab. Aus diesem Anlass werden wir uns sicherlich mit den Menschen beschäftigen müssen, die in Belarus leben und von dieser Katastrophe betroffen waren und sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen unter diesem Gesichtspunkt die Diskussion über die Atomkraft führen.
Wenn Sie betrachten, was wir in den letzten Jahren im Bereich der erneuerbaren Energien mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz geschaffen haben - damit sind wir Weltmeister auf diesem Gebiet; andere Länder nehmen sich ein Beispiel daran -, wenn Sie bedenken, dass wir in Sachen Windkraftenergie mittlerweile führend sind

(Uwe Barth [FDP]: Das sehe ich jede Woche, wenn ich nach Berlin komme!)

- das sage ich als Abgeordneter eines Wahlkreises im Ruhrgebiet, wo die Stahlindustrie eine große Rolle gespielt hat, wo jetzt aber die Windenergie und die erneuerbaren Energien zugunsten des Umweltschutzes und der Zukunftstechnologien einen großen Anteil haben -, dann hätten Sie vielleicht eine andere Rede gehalten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Röspel, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fell?

René Röspel (SPD):
Ja, wenn ich meinen Zug noch erreiche.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Bitte eine kurze Zwischenfrage, Herr Kollege Fell.

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege Röspel, Sie haben gerade dargestellt, wie stark die Aufwendungen für erneuerbare Energien sein sollten und wie problematisch die Aufwendungen für die Kernenergie sind. Ich teile diese Aussage. Können Sie eigentlich mittragen, was im Entwurf des 7. Forschungsrahmenprogrammes und des Euratom-Programmes vorgesehen ist? Danach sollen etwa 3 Milliarden Euro für die Kernenergie ausgegeben werden. Für die erneuerbaren Energien hingegen sollen - man kann es noch nicht endgültig sagen - schätzungsweise 300 bis 400 Millionen Euro, also etwa nur ein Zehntel der Aufwendungen für die Kernenergie, ausgegeben werden. Halten Sie dieses Verhältnis für richtig?

René Röspel (SPD):
Ich würde mir ein anderes Verhältnis wünschen.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Aus den letzten Jahren, lieber Herr Kollege Fell, wissen Sie allerdings auch, dass wir es auf europäischer Ebene immer sehr schwer gehabt haben, dieses Verhältnis zu ändern. Aus zukunfts- und umweltorientierter Sicht gibt es keine Alternative zu den erneuerbaren Energien. Man muss also auch auf europäischer Ebene für diesbezügliche Veränderungen sorgen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wir diskutieren heute über den Antrag der Grünen zum 7. Forschungsrahmenprogramm. Dabei ist eine insgesamt erfreuliche Entwicklung festzustellen, wenngleich wir vom 3-Prozent-Ziel, das sich die Regierungen gesetzt haben, auf deutscher wie auch auf europäischer Ebene noch weit entfernt sind.

Der Antrag der Grünen - um auf das eigentliche Thema zu sprechen zu kommen - enthält viele positive Elemente. Dort werden viele Gemeinsamkeiten dargestellt, die vom gesamten Haus getragen werden können. Allerdings gibt es eine ganze Reihe von Punkten, zu denen wir Fragen haben.

Es ist Aufgabe der Opposition - das wurde auch in der Zwischenfrage deutlich -, mehr Geld zu fordern. Aber wir konnten in unserer gemeinsamen siebenjährigen Regierungszeit auf europäischer Ebene feststellen, dass das nicht immer einfach zu realisieren ist. Ich gestehe Ihnen also zu, diese Forderung im Antrag zu stellen, wenngleich sie nicht einfach zu erfüllen ist.
Offenere und flexiblere Strukturen zu fordern, damit bin ich einverstanden. Es hat auch niemand etwas dagegen, die Effizienz der eingesetzten Mittel zu erhöhen. Über den Abbau von Bürokratie hat der Kollege Müller von der CDU/CSU-Fraktion schon eine ganze Menge gesagt.

(Beifall der Abg. Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU])

Jeder wird dazu Ja sagen.

Im 6. Forschungsrahmenprogramm war die Ausrichtung darauf angelegt, gerade für kleine und mittlere Unternehmen eine Verbesserung hinzubekommen. Dies ist nicht erreicht worden. Also bleibt dies eine Aufgabe für die Zukunft und für uns. Das ist dringend notwendig. Aber es scheitert an der Realität.

Wenn Sie von den Grünen allerdings die Bundesregierung auffordern - wie zum Beispiel auf Seite 5 Ihres Antrages -, dafür Sorge zu tragen, „dass KMUs an den Programmen des Bereichs Zusammenarbeit mindestens die 15 Prozent aus dem 6. FRP erreichen“, so kann man das zwar formulieren. Ich glaube aber, dass man dann, wenn man für die Antragstellung ein offenes, nach bestimmten Kriterien festgelegtes Verfahren einführen will, nicht von vornherein Quoten festsetzen kann. Man wird vielmehr erst im Nachhinein feststellen, wie hoch der Anteil war. Es liegt außerhalb der Möglichkeiten der Bundesregierung - diese ist ja der Adressat Ihres Antrages -, Einfluss zu nehmen.

Wenn Sie auf Seite 5 die Bundesregierung auffordern, „dass neben dem Auswahlkriterium der Exzellenz bei der Förderung auch das Anwendungspotenzial der Innovationen berücksichtigt wird“, dann hört sich das auf den ersten Blick gut an. Aber bei genauerem Nachdenken - das ist zumindest mir so gegangen; das soll ja hin und wieder vorkommen - stellt sich die Frage, ob es in der Tat sinnvoll und möglich ist, Exzellenz und Anwendungspotenzial gleichermaßen als Anforderung zu postulieren. Gerade im Bereich der Grundlagenforschung ist das Anwendungspotenzial in der Regel nicht absehbar. Wilhelm Conrad Röntgen hätte nie gedacht, dass er eine anwendungsorientierte Forschung betreiben würde, als er sich mit Röntgenstrahlen befasste.

In der Tat stellen sich folgende Fragen: Was ist, wenn das Vorhaben zwar exzellent ist, aber kein Anwendungspotenzial hat? Scheidet es deswegen aus?

(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)

Oder umgekehrt: Was ist, wenn das Anwendungspotenzial offensichtlich und groß ist, aber keinerlei Exzellenz vorhanden ist, weil dies nicht notwendig ist? Scheidet dieses Vorhaben dann ebenfalls aus? Ich finde, über diesen Bereich sollten wir noch nachdenken.

Nebenbei offenbart sich da eine Schwachstelle der gesamten Exzellenzdiskussion, die wir seit einigen Jahren führen. Sie sollten sich in Erinnerung rufen, dass wir vor zwei Jahren eine Diskussion über SARS, über eine Seuche, die von China ausging und durch Viren übertragen wurde, geführt haben. Es waren in der Tat deutsche Forscher, die als Erste das Genom des SARS-Erregers entschlüsselten. Herr Barth, dieser Erfolg kam übrigens daher, dass die Genomforschung durch die rot-grüne Regierung sinnvollerweise extrem gefördert wurde. Am Ende waren deutsche Forscher bei der Analyse und der Behandlung der Erkrankung durch den SARS-Virus führend.

Warum war das so? Schlicht und einfach deshalb, weil Deutschland es sich erlaubt hat, eine Nischenforschung weiter zu fördern, die es in anderen Ländern nicht mehr gab oder die es, wenn es die SARS-Fälle nicht gegeben hätte, nicht mehr geben würde, weil sie zu uninteressant war. Für SARS- oder ähnliche Viren hat sich niemand interessiert. Weil unabhängig von dem Kriterium Exzellenz die Wirkung dieser Forschung wegen der Größe der Forschergruppen überhaupt nicht messbar war, haben wir es uns erlaubt, dieses Gebiet zu fördern. Dies ist vielleicht ein Grund dafür, noch einmal darüber nachzudenken, ob wir nicht außerhalb der Exzellenzdiskussion auch andere Bereiche betrachten sollten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Was den Europäischen Forschungsrat anbelangt, fordern Sie, technologische, naturwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Projekte gleichermaßen zu fördern. Ich sage aus meiner Sicht: Die Stärke des Konzepts des Europäischen Forschungsrats ist gerade die Autonomie. Wir unterstützen ausdrücklich Ihre Aussage, dass der Europäische Forschungsrat kein Instrument von Interessengruppen sein darf und autonom entscheidet, welche wissenschaftlichen Vorhaben er unterstützt. Wenn man von vornherein sagt, ihr müsst dieses und jenes gleichermaßen berücksichtigen, dann, glaube ich, stellt man eine Leitplanke auf, die nicht sinnvoll ist. Die Stärke des ERC ist es eben, unbürokratisch und autonom zu entscheiden.

Es gibt noch eine Menge zu beraten. Wir werden heute einer Überweisung Ihres Antrages an die Ausschüsse zustimmen. Unseren Antrag, den von CDU/CSU und SPD, werden wir in den Beratungen daneben legen. Vielleicht gelingt es im Interesse der europäischen Forschungsförderung, die Gemeinsamkeiten zu betonen.
Vielen Dank.