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Regierungserklärung zur High-Tech-Strategie

19.05.2006

Rede zur Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung "Neue Impulse für Innovation und Wachstum durch Forschung und Entwicklung" sowie Beratung des Antrags der Abgeordneten Ilse Aigner, Michael Kretschmer, Katherina Reiche (Potsdam), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René Röspel, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD "Die technologische Leistungsfähigkeit mit dem 6-Milliarden-Euro-Programm und der High-Tech-Strategie stärken"

René Röspel (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute zwei Anträge der Regierungskoalition, einen Antrag der Fraktion der FDP sowie den Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2006.
Seit 1984 gibt es Forschungsrahmenprogramme auf der europäischen Ebene, die - das haben wir schon gehört - unter anderem dazu dienen, Forschung in Europa koordiniert zu fördern und neue Technologien zu entwickeln. Das 7. Forschungsrahmenprogramm ist mit einem Budget von wahrscheinlich etwa 50 Milliarden Euro bis 2013 das bisher größte seiner Art. Damit kommt die EU dem in der Lissabonstrategie festgelegten Ziel näher, den Anteil der Aufwendungen für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt auf 3 Prozent zu erhöhen. Das ist ein Ziel, das wir mit unserem Antrag ausdrücklich unterstützen, genauso wie zum Beispiel das Vorhaben, einen europäischen Forschungsrat einzurichten, der etwa der Deutschen Forschungsgemeinschaft entspricht und der Geld für ausgewählte Forschungsprojekte bewilligen kann, die nach dem Exzellenzprinzip ausgewählt werden. Mit dem 7. Forschungsrahmenprogramm macht Europa einen Schritt mehr zur Wissensgesellschaft.

Wie aber sieht die Situation in Deutschland aus? Dazu gibt der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit, der von unabhängigen Instituten erarbeitet worden ist, in der Tat einiges an Auskunft. Der erste Satz lautet - Frau Sitte, auch Sie haben ihn zitiert -:
Trotz anhaltender Exporterfolge hat sich die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands auf längere Sicht nicht gut entwickelt.

Mit Erlaubnis der Präsidentin werde ich noch ein paar weitere Zitate bringen; denn auch auf diese Zitate kommt es an:
Wissenschaft und Forschung haben in Deutschland eine hohe Qualität ...
Die Ausgaben für Forschung und experimentelle Entwicklung wurden von der Wirtschaft in Deutschland nicht kräftig genug erhöht ...

Der Anteil von innovierenden Unternehmen hat wieder zugenommen ...
Deutschlands Industrie zeigt auf den Exportgütermärkten eine außerordentlich hohe Präsenz. Ausschlaggebend ist
- man höre -
eine hohe Qualität der Produkte zu wettbewerbsfähigen Preisen ...
Notwendig ist ein schnellerer Strukturwandel hin zu Spitzentechnologien und wissensintensiven Dienstleistungen. ...
Die Umsetzung von F-und-E-Ergebnissen in breite technologische Anwendungen funktioniert gut. Deutschland ist unter den großen Volkswirtschaften hinter Japan das patentintensivste Land ...
Deutschlands Wirtschaft zählt zu den forschungsintensivsten in der Welt ...

Das ist eine Reihe von Zitaten aus ebendiesem Bericht. Sie zeigen, glaube ich, sehr gut auf: Es gibt einige Punkte, in denen wir gut sind, und es gibt einige Punkte, in denen wir mindestens Defizite haben oder schlecht sind. Dieser Bericht zeigt auch auf: Wir können nicht nur eine Antwort liefern, sondern wir müssen ganz viele unterschiedliche Antworten auf das, was uns der Bericht zeigt, geben. Genau das tun wir mit abgestimmten Maßnahmen und mit einer abgestimmten Strategie. Das hat Herr Riesenhuber viel besser erläutert, als ich das hier könnte.

Wir machen auf nationaler Ebene, was wir auch auf europäischer Ebene unterstützen: Wir koordinieren Forschung; wir bündeln die Initiativen nicht über einzelne Länder - wie in der EU -, sondern über die unterschiedlichen Ministerien. Vor allem investieren wir in die Menschen und in Forschung und Entwicklung zusätzliche 6 Milliarden Euro im Zeitraum von 2006 bis 2009. Wir setzen damit einen Kurs fort, der 1998 mit SPD-Forschungsministerin Edelgard Bulmahn begonnen wurde. Aber dazu hat Klaus Hagemann als Haushaltspolitiker schon eine Menge gesagt.

Zusätzliche 6 Milliarden Euro werden also in den nächsten drei Jahren in Deutschland investiert, und zwar in moderne Informations- und Kommunikationstechnologien, in Gesundheitsforschung und Medizintechnik, ein Bereich, in dem wir mit nur zwei anderen Ländern weltweit führend sind. Wir wollen Volkskrankheiten wie Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erforschen, aber auch so genannte vernachlässigte Krankheiten wie Malaria und Tuberkulose, von denen wir hier glauben, dass sie uns nicht berühren. In vielen anderen Teilen der Welt werden sie immer bedeutender und stellen ein immer größeres Problem dar.

Wir wollen stärker in die Energieforschung einsteigen. Das ist in der Tat aus meiner Sicht der zentrale Motor für die Schaffung von Arbeitsplätzen, für Klimaschutz und für Innovationen. Wir wollen moderne Kraftwerkstechnologien, das moderne Null-Emissions-Kraftwerk, die Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie fördern. Wir wollen noch stärker in effiziente Energienutzung und - das haben wir mit dem damaligen grünen Koalitionspartner begonnen - in erneuerbare Energien investieren.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Union und SDP haben sich auf gemeinsame Anträge zur Forschungspolitik geeinigt. Ich will offen bekennen: Das war in einigen Punkten nicht einfach; es gibt Meinungsunterschiede und das wird sicherlich weiterhin so bleiben. Diese Positionen müssen wir auch benennen, Herr Müller. Ich glaube, das gehört dazu.

Der erste Punkt. Bei der Agrogentechnik, bei der so genannten Grünen Gentechnik bleiben wir dabei, dass das Vorsorge- und Nachhaltigkeitsprinzip angewandt werden muss. Wir erleben gerade eine sehr interessante Entwicklung in Bayern. CSU-Generalsekretär Söder hat offenbar erkannt, dass es auch in Bayern Landwirte gibt, die den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen skeptisch sehen. Wir werden uns anschauen, was bei dieser Diskussion herauskommt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der zweite Punkt, der uns viel Mühe bei der Beratung der Anträge gemacht hat, betraf Fragen der Sicherheitsforschung. Sicherheitsforschung bedeutet für Sozialdemokraten eben nicht die Reduzierung der Politik auf Militär, Soldaten, Terrorismus und Kriminalität; vielmehr ist sie für uns ein viel weiterer Begriff, und zwar im Sinne des UN-Begriffs der Human Security, bei dem es um das Sicherheitsbedürfnis von Menschen geht, den Schutz vor Naturkatastrophen, aber auch die tägliche Sicherheit. Ich glaube, dass wir uns in dieser Frage in den nächsten Debatten annähern werden. Das ist keine Frage.

(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Sagen wir doch genauso! Wir wollen das selber! Das verstehen Sie nur nicht!)

Der dritte Punkt. Es existieren sehr große Unterschiede - das hat auch Herr Müller gerade angespro-chen - zwischen CDU/CSU und SPD in der Frage der Nutzung der Atomkraft. Die SPD hält am Ausstieg aus der Atomenergie fest. Bei der Erforschung der Kernfusion bleibt es bei der Einhaltung der bestehenden internationalen Verträge. Für die Sozialdemokraten ist die Kernfusion eine Forschungsoption, also ein interessantes Forschungsgebiet, aber keine Lösung der Energiefragen der künftigen Jahre.

Beifall der Abgeordneten der SPD)

Wir haben in den letzten anderthalb Stunden eine eigentlich ideologiefreie Debatte über Technik geführt. Das fand ich sehr gut, weil es unserem Ziel dient. Es gab eine Ausnahme: Frau Pieper, Sie haben - ich habe es wie üblich mitgezählt - in Ihrer Rede dreimal den Begriff „Ideologie“ benutzt, im Antrag der FDP steht mindestens fünfmal „Ideologie“.

(Cornelia Pieper [FDP]: Weil das wichtig ist!)

Immer, wenn der FDP die Argumente ausgehen, machen Sie den Vorwurf - das ist Ihre Methode -: Jeder, der nicht die Position der FDP teilt, ist offenbar Ideologe.

(Cornelia Pieper [FDP]: Die Idee der Freiheit! - Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Nein! Das kann man nicht sagen!)

Wer den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen kritisch sieht, ist ideologieverdächtig und wer die Atomenergie beenden möchte, ebenfalls.

Nun möchte ich das an einem anderen Beispiel klar machen. Oben auf der Besuchertribüne sitzen etwa hundert junge Menschen. Das ist die zukünftige Generation, die in unserem Land irgendwann Verantwortung tragen wird. Der Spruch ist vielleicht abgenutzt, aber ich sage es trotzdem: Sie sind die Zukunft unseres Landes. Denen wollen wir eine lebenswerte Umwelt und Welt hinterlassen. Wir produzieren aber jeden Tag Hunderte Tonnen radioaktiven Mülls. Plutonium - das ist einer der giftigsten chemischen Stoffe, die die Menschheit kennt - hat eine Halbwertszeit von 24 000 Jahren. Nach 24 000 Jahren strahlt 1 Kilogramm Plutonium - 1 Kilogramm reicht übrigens aus, um 1 Million Menschen zu vergiften und tödlich zu verstrahlen - immer noch so stark wie ein halbes Kilogramm Plutonium. Ist das Ideologie? Nein. Das ist Physik. Herr Barth, Sie können das bestätigen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Kinder dieser Jugendlichen dort oben und deren Kindeskinder und Kindeskindeskinder werden diesen Atommüll zeit ihres Lebens als bittere Hinterlassenschaft unserer Generation haben und damit nicht umgehen können, weil es noch keine Lösung gibt.

Ist es Ideologie, wenn wir als SPD - die Grünen tun das übrigens auch - sagen, dass wir jede Tonne Atommüll, die heute anfällt, vermeiden und so schnell wie möglich raus aus der Kernkraft und rein in die erneuerbaren Energien wollen?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, das ist verantwortungsvoller und nachhaltiger Umgang mit unserer Umwelt und den uns nachfolgenden Generationen.

Wenn man in 20 oder 30 Jahren von Windkraftwerken die Nase voll hat, kann man sie einfach abbauen und den Stahl verschrotten. Dann ist von ihnen nichts mehr zu sehen und zu spüren. Das ist also unproblematisch. Bei der Atomenergie geht das nicht. Deswegen sagen wir: Wir müssen so schnell wie möglich raus aus der Atomenergie.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Im Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands ist uns ein wesentlicher Kritikpunkt ins Stammbuch geschrieben worden: Was Bildung und Ausbildung angeht, gibt es Risse im Fundament. Wer also über technologische Leistungsfähigkeit redet, darf ihre Grundvoraussetzungen nicht vergessen; das ist unsere Überzeugung.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

René Röspel (SPD):
Wir brauchen ein Bildungssystem, das leistungsfähig ist, in dem jeder die Chance hat, unabhängig vom Geldbeutel seiner Eltern zu studieren und sich Bildung anzueignen, in dem niemand vergessen wird und in dem kein Talent ungenutzt bleibt. Auch auf diese Erfordernisse haben wir im Antrag der Koalition reagiert. Wir wollen eine Bildungsoffensive zur Sicherung des Nachwuchses starten. Hier müssen alle an einem Strang ziehen: die Wirtschaft, die Bundesländer und der Bund. In den nächsten Wochen werden wir sehen, inwieweit das in Zukunft möglich ist.
Vielen Dank.

Die Schwerpunkte meiner Arbeit: