Rede zum Entwurf der Grünen für ein Gendiagnostik-Gesetz

24.05.2007

Rede zur ersten Lesung des von der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz - GenDG) (Drs. 16/3233)

René Röspel (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Es ist gerade einmal sechs Jahre her, dass die Nachricht um die Welt ging, das menschliche Genom sei nun komplett entschlüsselt. Das heißt, die Erbinformation des Menschen ist fast bekannt.

Wenn man sich das an einem anderen Beispiel vor Augen führt, stellt sich die Frage: Was bedeutet das? Wir haben jetzt eine Bibliothek mit 3000 Büchern, jedes Buch hat 1000 Seiten, und auf jeder Seite sind etwa 1000 Buchstaben hintereinander in ihrer Abfolge zu lesen, allerdings in einer Sprache, die wir eigentlich noch nicht verstehen, viel zu wenig verstehen oder noch nicht richtig verstanden haben. Wir wissen viel weniger, als wir technisch können. Von einer Reihe von Genen oder Genveränderungen wissen wir, dass sie mit Sicherheit zur Entstehung einer Krankheit führen. Wir kennen aber nicht den Zeitpunkt des Ausbruchs dieser Krankheit. Wir wissen nicht, ob das sofort, in zehn, 30 oder 40 Jahren der Fall sein wird. Häufig kann auch nur vermutet werden, dass ein Gen an der Entstehung einer Krankheit beteiligt ist. Es kann eine Wahrscheinlichkeit angegeben werden, ob eine Krankheit überhaupt ausbricht; aber letztlich wissen wir dies nicht.

Eine 18-jährige gesunde Frau ohne Symptome kann im Internet einen Gentest bestellen und testen lassen, ob sie etwa eine Veranlagung zu Brustkrebs hat. Sie bekommt dann möglicherweise die Antwort, dass sie mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit an Brustkrebs erkranken kann, vielleicht in 20, 30 oder 40 Jahren oder auch gar nicht. Ist das eine sinnvolle Information? Ich glaube, wir sind uns ziemlich einig, dass das keine sinnvolle Information ist.

Nun zum Kernproblem von Gentests. Sie sind dann nützlich, wenn es um eine Krankheit geht, die man therapieren kann, bei der es eine Möglichkeit gibt, sie zu verhindern. Gentests werden dann problematisch, schädlich, zur Last oder Bürde eines Menschen, wenn man zwar eine Auskunft darüber erhält, ob eine Krankheit mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit - oder eben gar nicht - ausbricht, man diese Krankheit aber nicht therapieren kann, wenn es also auf die Antwort, die man durch einen Gentest bekommt, keine sinnvolle Verhaltensweise gibt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Diese Information kann ein Leben verändern, manchmal sogar dramatisch. Sie kann - das ist schon gesagt worden - nicht nur das eigene Leben verändern, sondern auch das derjenigen Menschen, die um einen herum leben. Wenn es um eine vererbbare Krankheit geht und ich die Information bekomme, dass ich sie in mir trage und sie vielleicht in 20 oder 30 Jahren ausbricht, dann bedeutet das, dass sich auch meine Eltern, meine Geschwister und meine Kinder Gedanken machen oder Gedanken machen müssen, ob sie vielleicht Träger dieser Krankheit sind. Sie fragen sich: Haben der Test, den mein Vater oder mein Bruder hat vornehmen lassen, und die Auskunft, die er bekommen hat, auch für mich eine Auswirkung? Das kann dazu führen, dass die Unsicherheit über das Entstehen oder Ausbrechen einer Krankheit wie ein Damoklesschwert über dem Leben eines Menschen hängt.

Ich habe in der Debatte Folgendes gemerkt: Wir alle sind uns einig: Wir brauchen in unserem Land im Zusammenhang mit Gentests eine Regelung, die unsinnige Gentests vermeidet, die das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Menschen bzw. des Patienten ermöglicht. Dazu gehört - auch darüber sind wir uns einig - eine umfassende Aufklärung über Zweck und Aussagekraft eines Gentests und über mögliche Therapien nach einem Gentest. Zu dieser Regelung gehört auch das Recht auf Nichtwissen. Wie gerade in meinem Beispiel angedeutet, muss man das Recht haben, die Mitteilung eines Befundes abzulehnen.
Dazu gehört, dass niemand zu einem Gentest gezwungen werden darf

(Beifall bei der SPD)

und dass niemand von einem Gentest Gebrauch machen darf, um einen Vorteil zu erlangen. Dazu gehört, dass niemandem ein Versicherungsschutz und der Abschluss einer Versicherung verwehrt werden dürfen; das ist ganz wichtig. Wir sehen, dass in anderen Ländern schon zum Beispiel getestet wird, ob eine Veranlagung zu Morbus Huntington besteht, und man eine Lebensversicherung nur dann abschließen kann, wenn man dies ausschließen kann - mit fürchterlichen Konsequenzen, wenn das nicht der Fall ist: keine Lebensversicherung, kein Kredit, kein Haus, keine Zukunft. Dazu gehört auch, dass niemand am Arbeitsplatz oder bei einer Einstellungsuntersuchung wegen seiner genetischen Ausstattung diskriminiert werden darf.

Die Probleme solcher Regelungen ergeben sich übrigens im Detail. Natürlich sind wir alle froh, wenn bei einem Elektriker mit einer einfachen Ishihara-Farbtafel ein Rot-Grün-Farbtest durchgeführt wird - das ist im Prinzip mit einem Gentest vergleichbar -, damit er keine Kabel vertauscht. Das bezieht sich auf das, was Kollegin Reimann und Herr Kauch ansprachen: Es gibt eben auch eine besondere Verpflichtung gegenüber Dritten, was in der Detaildebatte eine besondere Rolle spielen wird und spielen muss.

Es sei mir als Forschungs- und Wissenschaftspolitiker erlaubt, einige weitere Punkte anzumerken. In der Untersuchung des menschlichen Genoms und der Erbinformationen steckt ein gewaltiges Potenzial zur Bekämpfung von Krankheiten und zum besseren Verständnis von Krankheiten. Allerdings werden wir eine solche Forschung nur dann verantwortlich betreiben können, wenn sich Probanden, also Menschen, zur Verfügung stellen. Diese brauchen einen besonderen Schutz, gerade wenn es um minderjährige oder nicht einwilligungsfähige Menschen geht. Es muss aber vor allen Dingen das Vertrauen darauf geschaffen werden, dass ihre Daten nur zu wissenschaftlichen Zwecken genutzt werden. Deswegen ist es für uns als Forschungspolitiker eben auch wichtig, dass ein sogenanntes Forschungsprivileg oder Forschungsgeheimnis eingeführt wird; auch das ist schon erwähnt worden. Das heißt, dass der Staatsanwalt eben keinen Zugriff auf die Daten bekommt, die jemand zu wissenschaftlichen Zwecken zur Verfügung gestellt hat.

Die Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ hat 2002 einen in der Tat umfassenden Bericht zu genetischen Daten vorgelegt, der Forderungen und Empfehlungen enthält. Wir haben in der rot-grünen Koalition im Jahr 2004 in langen Diskussionen begonnen, einen Gesetzentwurf auszuarbeiten. Wir haben es leider nicht geschafft, diesen in Gesetzesform zu gießen, weil die Neuwahl dazwischenkam. Wir bekommen heute eine fast unveränderte Fassung dieses rot-grünen Gesetzentwurfes zur Vorlage. Mein Dank geht nicht nur an Bündnis 90/Grüne, die die Initiative ergriffen haben, eigentlich geht er - die Frau Staatssekretärin ist da - an das Bundesministerium für Gesundheit, in dem dieser Entwurf erarbeitet worden ist. Ich glaube, dieser Entwurf ist eine gute Grundlage für die kommenden Diskussionen.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

Lassen Sie uns gemeinsam einen überzeugenden rechtlichen Rahmen für genetische Daten und Gendiagnostik in diesem Land schaffen! Frau Präsidentin,

(Heiterkeit)

es ist alles gesagt. Ich habe noch anderthalb Minuten Redezeit. Schreiben Sie mir die doch bitte für die nächste Sitzungswoche gut!
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Mit der Übertragung der Redezeit auf die nächste Woche - so weit sind wir noch nicht.

(Zuruf von der SPD: Das ist ein Problem der Gendiagnostik!)