Polarforschung stärken

30.06.2011

Rede zu Protokoll des SPD-Bundestagsabgeordneten René Röspel am 30. Juni 2011 zum SPD-Antrag „Polarregionen schützen - Polarforschung stärken“; Deutscher Bundestag, 117. Sitzung, TOP 28

Herr/ Frau Präsident/in! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Am 15. Juni ist das deutsche Forschungsschiff, die „Polarstern“, in Richtung arktischer Ozean in See gestochen. Während der fast 4-monatigen Reise werden über 130 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus sechs Ländern an drei Fahrtabschnitten teilnehmen. Dabei untersuchen sie zum Beispiel wie sich über die Jahre die Meeresströmungen und die Tier- und Pflanzenwelt zwischen Spitzbergen und Grönland verändert. Hierbei sollen zum Beispiel Rückschlüsse auf den Einfluss der polaren Meere auf den globalen Ozean gezogen werden. In einem zweiten Fahrtabschnitt soll untersucht werden, wie Organismengemeinschaften auf die fortschreitende Ozeanerwärmung reagieren. Und im letzten Fahrtabschnitt wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler physikalisch, biologisch und chemische Untersuchungen zur abnehmenden Meereisbedeckung unternehmen. All diese Experimente fallen unter die Polarforschung.

Wie man an diesen Beispielen exemplarisch sehr gut sieht, ist dieser Forschungszweig sehr vielfältig. Er ist grundsätzlich multidisziplinär und international aufgestellt. An ihm beteiligt sind unter anderem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Geografie, Kartografie, Geologie, Mineralogie, Geophysik, Geodäsie, Ozeanografie, Meteorologie, Biologie, Geoökologie, Anthropologie, Ethnologie, Medizin, Physik und zahlreicher Technikwissenschaften.

Deutschland ist seit langem ein wichtiger Akteur im Bereich der Polarforschung. Die erste deutsche Nordpolarexpedition fand bereits 1868 statt. Viele Expedition scheiterten damals an der ungeeigneten Ausrüstung. So fehlten insbesondere polartaugliche Schiffe. Für die erste deutsche Südpolarexpedition von 1901 bis 1903 wurde extra ein für die polaren und eisbedeckten Meeresgebiete spezialisiertes Forschungsschiff gebaut. Es war damals eines der modernsten Forschungsschiffe der Welt.

Bei den ersten Polarreisen spielt der Entdeckungsdrang bisher unbekannter Regionen den Hauptbeweggrund. Das änderte sich mit der Zeit. Mehr und mehr wurde den Beteiligten klar, dass die wissenschaftlichen Ergebnisse der Polarregionen wichtige Rückschlüsse auch für den Rest der Erde geben konnten. So hatte zum Beispiel die letzte Expedition des deutschen Polarforschers Alfred Wegner Anfang des 20. Jahrhunderts das Ziel, durch Messungen des grönländischen Inlandeises Rückschlüsse auf das Klima in Mitteleuropa zu ziehen.

Die Polargebiete spielen bei der Klimasteuerung der Erde eine wichtige Rolle. Schon deshalb ist es richtig, dass Deutschland die Polarforschung substanziell unterstützt. Zur Koordinierung und Bereitstellung eines großen Teils der benötigten Infrastruktur ist in Deutschland das Alfred-Wegner-Institut (AWI) in Bremerhaven zuständig. Es unterhält zum Beispiel Polarforschungstationen, Polarforschungsflugzeuge und die bereits genannte „Polarstern“. Darüber hinaus arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am IFM Geomar in Kiel sowie an Max-Planck-Instituten bzw. Universitäten an diesem so wichtigen Forschungsthemen. Im Ganzen ist Deutschland in diesem Bereich sehr gut aufgestellt. Dennoch braucht dieser Forschungszweig weiterhin eine kontinuierliche finanzielle Unterstützung. Insbesondere die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses erscheint mir hierbei ausbaufähig.

Um in den Polargebieten zu forschen, wird besondere Infrastruktur benötigt. Die Schiffe, Flugzeuge, Unterwassergeräte und Bodenstationen müssen extremen Temperaturen trotzen und gleichzeitig höchsten Ansprüchen des wissenschaftlichen Arbeitens ermöglichen. Keine einfache Aufgabe. Aber das deutsche Know-how und die über hundertjährigen Erfahrungen zahlen sich hierbei aus. So ist zum Beispiel die „Polarstern“, trotz dieses 30jährigen Einsatzes, immer noch der einzig Forschungseisbrecher weltweit, der beide Pole befährt und ganzjährig einsetzbar ist. Für dieses „wissenschaftliche Arbeitstier“ muss nun bald Ersatz gefunden werden.

Anfang des Jahres konnte man in „Nature“ lesen, dass das „Polar Research Board“ der amerikanischen „National Academy of Science“ in ihrem neuen Bericht dazu auffordert, die Forschung an den beiden Polen stärker zu verzahnen. Durch mehr „bipolare“ Forschung erhoffen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schnellere Ergebnisse über die Auswirkungen des Klimawandels. Auch der deutsche Wissenschaftsrat hat in seiner aktuellen Stellungnahme zu den deutschen Forschungsschiffen darauf hingewiesen, dass wir zeitweise zwei Eis brechende Forschungsschiffe brauchen, um beide Polegebiete ganzjährig zu beforschen.

Meine Damen und Herren, sie sehen, unsere Forderung im hier vorliegenden Antrag nach mehr bipolar einsetzbarer Forschungsinfrastruktur kommt direkt aus der Wissenschaft. In Zeiten, wo wir uns sowieso über einen Neubau Gedanken machen müssen, sollten wir uns diesen Überlegungen deshalb nicht verschließen. Insofern hat es mich gefreut, dass Bundesministerin Schavan für die nächsten Jahre 650 Millionen Euro für die Erneuerung der Forschungsflotte angekündigt hat. Leider stammt dieser Satz aus dem Jahre 2008. Deshalb die konkrete Frage, Frau Schavan, wann genau gibt es denn nun einen Nachfolger für die „Polarstern“?

Logisch ist, dass Deutschland die Polarforschung nicht alleine stemmen kann. Hier ist ein Mehr an europäischer Förderung notwendig. Leider zeigt das scheinbare Scheitern des europäischen Forschungseisbrechers „Aurora Borealis“, dass auf diesem Gebiet noch einiger Verbesserungsbedarf besteht. Immerhin hat die Bundesrepublik bereits über 5 Millionen Euro in eine Machbarkeitsstudie der „Aurora Borealis“ gesteckt. Die Bundesregierung muss deshalb auf europäischer Ebene dafür sorgen, dass es in Zukunft verlässliche Zusagen von unseren europäischen Partnern in diesem Bereich gibt.

Und noch eine dringende Aufgabe habe ich für die Bundesregierung. Sie muss sich verstärkt dafür einsetzen, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Arktis Bewegungs- und Arbeitsfreiheiten behalten. Denn es besteht die ernsthafte Befürchtung, dass durch die Erderwärmung bei den Anrainerstaaten wirtschaftliche Interessen in den bisher eisbedeckten Gebieten geweckt werden, die wir sehr kritisch sehen. Als Konsequenz erleben bereits heute Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass ihnen der Zugang zu Teilen der Polargebieten verwehrt wird. Hier muss unbedingt eine internationale Lösung gefunden werden.

Die Polarforschung ist nicht nur eine sehr spannendes Thema, sondern berührt elementare Fragen unseres Wissens über das Klima. Eine breite Unterstützung für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von uns, den Mitgliedern des Deutschen Bundestag, wäre deshalb sehr wünschenswert. Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen.