Kooperation und Koordination im Europäischen Forschungsraum

Zu Protokoll gegebene Rede zum Grünen-Antrag 16/6454 "Kooperation und Koordination im Europäischen Forschungsraum verbessern"

11.10.2007

Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Vor der diesjährigen Sommerpause haben wir im Ausschuss für Bildung und Forschung das Grünbuch der Europäischen Kommission „Der Europäische Forschungsraum: Neue Perspektiven“ diskutiert. Dabei ging es um die Frage, wie man den Europäischen Forschungsraum, welcher Teil der Lissabon-Strategie von 2000 ist, vertiefen und erweitern kann.

Die Hauptaussagen des Grünbuchs werden nicht nur von uns Politikern, sondern auch in der Wissenschaft debattiert. Denn die Anmerkungen sollen später in ein Weißbuch münden, welches in der ersten Hälfte 2008 in Brüssel verabschiedet werden soll. Das Weißbuch wird die Grundlage für das 8. Forschungsrahmenprogramm darstellen.

Im Grünbuch werden die Mitgliedstaaten aufgefordert „[..] breit angelegte Erörterungen auf nationaler und regionaler Ebene [zur Stärkung des Europäischen Forschungsraumes] einzuleiten.“ (S.27) Den Antrag der Grünen können wir als weitere Gelegenheit wahrnehmen, dieser Aufforderung nach zu kommen.
Die europäische Forschungslandschaft ist komplex. Auf zehn Seiten versucht der Grünen-Antrag alle wesentlichen Aspekte und Strukturen der Europäischen Forschungslandschaft anzureißen. Viele Punkte des Antrages kann man begrüßen, sind schon Regierungshandeln oder sicher in diesem Haus unstrittig. Andere Punkte müssten aber noch einmal diskutiert werden. Auf diese werde ich jetzt kurz eingehen.
In dem uns vorliegenden Antrag wird das Europäische Technologieinstitut (EIT) abgelehnt. Über diese Institution haben wir bereits öfters im Ausschuss und Plenum gesprochen, zuletzt vor der Sommerpause. Grundsätzlich teile ich viele der Bedenken gegen das EIT. Doch wie ich bereits bei meiner letzten Rede zum EIT am 21. Juni dargelegt habe, war dieses europäische Projekt nicht mehr aufzuhalten. Die Bundesregierung hat in der Zeit Ihres EU- Vorsitzes mit ihrem damaligen Kompromissvorschlag eine für alle Mitgliedstaaten akzeptable Lösung gefunden.

Das Europäische Parlament hat mittlerweile am 26. September den Kommissionsvorschlag für die Schaffung des EIT ebenfalls gebilligt. Insofern stimmt Ihre Aussage, das Europäische Parlament würde das Projekt ablehnen, nicht. Auch wenn die Finanzierung immer noch auf tönernen Füßen steht und die Sinnhaftigkeit der Institution sich erst noch zeigen muss, so ist die Entscheidung für ein EIT endgültig gefallen. Das entbindet uns nationale Parlamentarier aber nicht von der weiteren kritischen Begleitung. Spätestens die Evaluierung bis 2012 wird zeigen, ob das EIT die Erwartungen des signifikanten Mehrwerts erfüllen kann. Der Forderung der Grünen aber kann die Bundesregierung nicht entsprechen.
Ein weiterer Abschnitt in Ihrem Antrag beschäftigt sich mit Ethik und Forschung auf europäischer Ebene. Sie schreiben auf Seite zwei des Antrages „Eine ethisch verantwortliche europäische Forschung braucht die offene gesellschaftliche Debatte über die Grenzen der Nationalstaaten hinweg.“ Prinzipiell ist eine gesellschaftliche Debatte über Grenzen hinweg, ob nun national oder anderer Art, immer zu begrüßen. Die Darstellung und Konfrontation verschiedener Positionen und der Versuch, zu mehrheitsfähigen Problemlösungen zu gelangen, ist immer bereichernd.

Debatten werden aber normalerweise nicht nur der Debatte wegen geführt – sie sollen Konsequenzen haben. Bleiben sie hingegen folgenlos, stellen sich Politikverdrossenheit und Enttäuschung ein. Für den Bereich der ethischen Fragen bedeuten Konsequenzen dann aber, dass Kompromisse auf europäischer Ebene für alle Mitgliedsstaaten bindend sein müssten.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass beispielsweise ein europäisches Gremium darüber entscheidet, in welchem Umfang und mit welchen Grenzen in Deutschland ethisch problematische Forschung möglich sein sollte. Mal davon abgesehen, dass bereits die Auswahl der Vertreter der deutschen Position sehr kompliziert werden würde. Welche Aufgabe hätte denn der Bundestag in ethischen Grundsatzdebatten noch? Beim Deutschen Ethikrat haben die Grünen noch vor einer Ent-Parlamentarisierung gewarnt, nun kann man den Eindruck bekommen, sie forderten selbst eine Verschiebung der Debatte auf die EU-Ebene.

Beim Thema Ethik ist es bereits auf nationaler Ebene schwierig einen Kompromiss zu finden. Eine klare ethische Positionierung aller EU-Staaten und nationaler Öffentlichkeiten kann ich mir deshalb derzeit beim besten Willen nicht vorstellen. Wir haben und werden uns bei ethischen Fragen in der Forschung noch lange nicht auf eine gemeinsame europäische Position verständigen können.

Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft die stärkere europäische Koordinierung von nationalen Forschungsprogrammen. Als Ziel wird dazu im Antrag genannt „[..] dass es dabei aus europäischer Perspektive weder zu unsinnigen Doppelungen noch zu Lücken in den jeweiligen Forschungsbemühungen kommt.“ Gegen Doppelungen anzugehen macht sicherlich Sinn. Aber was genau sind „unsinnige“ Doppelungen? Es kann durchaus sinnvoll sein parallel Forschungen durchzuführen. Die diesjährige Vergabe des Nobelpreises für Physik an den Deutschen Peter Grünberg und den Franzosen Albert Fert ist sicherlich das beste Beispiel für positive Doppelung von Forschung! Beide haben unabhängig voneinander, der eine in Jülich, der andere in Paris, am Magnetoeffekt geforscht. Das Ergebnis dieses Wettstreits findet sich mittlerweile in Form von Festplatten in jedem Computer wieder. „Doppelungen“ können also Ansporn sein im Sinne von belebender Konkurrenz oder auch der Versuch, das gleiche Ziel auf anderem Wege zu erreichen.

Lassen Sie mich noch ein paar weitere Worte zum Bereich der europäischen Koordinierung von nationalen Forschungsprogramme sagen. Es macht natürlich Sinn zu wissen, wo die Schwerpunkte der anderen nationalen Forschungsprogramme liegen, in welchen Bereichen eine Kooperation möglich ist und welche Bereiche vielleicht europaweit vernachlässigt werden.

Eine prinzipielle Öffnung der einzelnen nationalen Forschungsprogramme für alle Mitgliedstaaten erscheint mir dabei aber problematisch. Nicht nur die Koordination könnte dadurch, wie im Antrag erwähnt, schwieriger werden. Ich sehe viel mehr - und mit dieser Meinung stehe ich nicht allein – die Gefahr von „Trittbrettfahrern“. Denn es existieren leider große Unterschiede zwischen den staatlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung in den einzelnen europäischen Mitgliedsstaaten. Dass sich einzelne Länder ihre Forschungsanstrengungen durch deutsche Programme bezahlen lassen, kann nicht das Ziel eines vereinigten Europäischen Forschungsraumes sein. Vielmehr müssen die einzelnen Mitgliedsstaaten eigene Anstrengungen unternehmen, mehr in Forschung und Entwicklung zu investieren.

Eine weitere Forderung der Grünen sind die verstärkte Bereitstellung von Mitteln für wissenschaftliche Infrastruktur in den neuen EU-Mitgliedsländern. Die östlichen EU-Neumitglieder mögen auf Grund ihrer Historie eine schlechter ausgebaute Forschungsinfrastruktur haben. Langfristig muss es deshalb das Ziel sein, dass exzellenten Köpfen, egal aus welchem EU-Land, die passende Infrastruktur zur Verfügung steht. Entscheidend für die Überlegungen zur Ansiedlung neuer Forschungsinfrastruktur darf dabei aber nicht die Geographie, sondern der wissenschaftliche Nutzen des Standortes sein. Und dieser muss nicht zwangsläufig in den neuen Mitgliedstaaten liegen. Das muss aber nicht automatisch bedeuten, dass man nur in Bestehendes investiert, sondern auch offen ist für die Entwicklung von Potenzialen.

Soweit einige Anmerkungen zum Antrag. Lassen Sie mich als Fazit aber noch sagen: Es ist eindeutig, dass wir auf die forschungspolitischen Fragen des 21. Jahrhunderts nicht mehr allein nationalstaatlich antworten können. Großprojekte wie der X-FEL bei Hamburg oder Forschungsbereiche wie die Klimaforschung können nur gemeinsam erfolgreich angegangen werden. Als logische europäische Konsequenz daraus führt an einem gemeinsamen europäischen Forschungsraum kein Weg vorbei! Bis zur Vollendung haben wir aber noch viele Schritte vor uns! Im Forschungsland Deutschland – ich denke, bei zwei von drei diesjährigen Nobelpreisträgern in naturwissenschaftlichen Kategorien darf man dies wohl voller Überzeugung sagen – tun wir gut daran, uns auch weiterhin an diesen Diskussionen und der Gestaltung aktiv zu beteiligen. Der uns jetzt vorliegende Antrag der Grünen bietet uns dafür, bei all seinen Defiziten, eine gute Diskussionsgrundlage.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.