Forschungspolitik braucht Mut

18.05.2018

Der Koalitionsvertrag steht, die Ministerien sind besetzt: Die Arbeit kann beginnen. Die Forschung in Deutschland ist gut aufgestellt – auch dank kluger sozialdemokratischer Politik, meint der stellvertretende forschungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion René Röspel. „Das Versprechen der Politik, die finanziellen Mittel für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen jedes Jahr zu steigern, hat Deutschland wieder international attraktiv gemacht“, schreibt Röspel in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Rundschau. Allerdings wünsche er sich „mehr Mut für Neues und weniger Mainstream“.

Den Artikel in der Frankfurter Rundschau vom 7. Mai kann man hier[1] lesen.

Ausführlicher wird das Thema im folgenden Artikel betrachtet:

Sicher über (fast) alle Parteigrenzen wird unterstützt, dass der auf sozialdemokratische Initiative entstandene Pakt für Forschung und Innovation (PFI) auch in dieser GroKo fortgesetzt werden soll. Dieses Versprechen „der Politik an die Forschung“, die finanziellen Mittel (leider nur) für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen verlässlich jedes Jahr um 5 bzw. 3 Prozent zu steigern, hat Deutschland wieder international sichtbar und attraktiv gemacht und ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine große Anstrengung! Bravo, GroKo, gut gemacht!

Dennoch wünsche ich mir mehr Mut für Neues und weniger Mainstream. Ein solcher Mainstream ist die von allerlei Seiten eingeforderte sog. steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung (stFuE). Gerade diesen Weg würde ich aus forschungspolitischer Sicht gar nicht einschlagen. Mit der stFuE schafft man eine neue Subvention, die immer begründet wird mit der Hoffnung auf neue Innovationen, aber eigentlich Wirtschafts- und Standortinteressen widerspiegelt – in einem Land, in dem übrigens unter SPD-Führung seit Beginn des Jahrtausends die Unternehmen durch die Senkung der Körperschaftssteuer von 40/45 Prozent auf 15 Prozent massiv entlastet wurden und dadurch große Spielräume für Investitionen und FuE erhalten haben. (Trotz der auch daraus resultierenden Milliarden-Gewinne steht gerade die wirtschaftlich und technologisch so bedeutende deutsche Automobilindustrie nicht an der Spitze der Entwicklung, sondern droht den Anschluss zu verlieren!) Nun ist gegen Wirtschaftsförderung nichts einzuwenden, aber das ist eben nicht unbedingt „Innovationspolitik“, denn die postulierte Wirkung mit Blick auf die Schaffung von Innovationen ist eher fragwürdig.

Mich stört nicht nur, dass Geld gebunden wird, das man für die Hebung von Innovationen an anderen Stellen zur Verfügung stellen sollte – dazu will ich später drei Beispiele nennen. Einmal eingeführte Subventionen wird man i.d.R. schlechter wieder los als Fußpilz. Anders nämlich als z.B. Förderprogramme, die regelmäßig auf ihre Wirksamkeit evaluiert werden (sollten) und (bei erfolgreichen: leider) nach einigen Jahren häufig eingestellt werden, um die von den Rechnungshöfen kritisierte „Institutionalisierung“ zu vermeiden, entwickeln sich Subventionen zu „unsichtbaren“ Geschenken und Belastungen, weil sie als schlichte Steuermindereinnahme nicht mehr im Haushalt auftauchen. Man kann sie dann mit Mühe höchstens noch im Subventionsbericht der Bundesregierung nachvollziehen. Beispielsweise war es ein großer Erfolg der SPD, 2006 die größte Einzelsubvention des Bundes abzuschaffen, die zudem ökologisch problematisch war und die Verteilungsungerechtigkeit in der Bevölkerung vergrößert hat: Die Abschaffung der Eigenheimzulage hat allein zwischen 2009-2013 Bundesfinanzminister Schäuble etwa 13 Mrd. € mehr in die Kassen gespült, die viel sinnvoller und zukunftsträchtiger in Bildung und Forschung investiert werden konnten. Vorsicht also an der Bahnsteigkante (mit dem Baukindergeld wird gerade die nächste teure Fehlallokation geplant). Je nach Variante führt eine stFuE zu jährlichen Steuermindereinnahmen zwischen mindestens 250 Mio. bis mehreren Milliarden € (eine gute Übersicht dazu bietet die Studie „Steuerliche FuE-Förderung“ im Auftrag der Expertenkommission Forschung und Innovation www.e-fi.de),die - vor allem in schlechten Jahren - natürlich kompensiert werden müssen, z.B. durch Kürzung von Förderprogrammen. Natürlich wird das immer bestritten – bleibt aber Fakt! Ich will mich auch nicht lange mit dem „Detail“ aufhalten, wie denn gerade mittelständige Unternehmen ohne eigene FuE-Abteilung, bei denen Produktentwicklung im Verfahren und Zusammenspiel zwischen IngenieurIn, MeisterIn und GesellIn stattfindet und schwerlich steuerlich abgrenzbar ist, eine wie immer geartete und meinethalben zentral unterstützte Steuergutschrift oder Forschungsbonus am Ende unbürokratisch gegenüber ihrem Finanzamt durchsetzen – mich stört vor allem, dass dieser Vorschlag „Einzelkämpfer produziert“, weil jeder für sich selbst dahinwurschteln und Doppelförderung auch noch vermeiden muss! An Einzelkämpfern jedoch besteht allerdings weder Bedarf noch Mangel. Erfolgreiche Programme wie das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) und die Industrielle Gemeinschaftsforschung (IGF) sind hingegen überwiegend auf Vernetzung und Kooperation ausgelegt. Aus meiner Sicht der viel erfolgreichere und bessere Weg zur Stärkung von Forschung und Entwicklung. (Die Bedeutung von Zusammenarbeit hat Acatech mit dem Positionspapier „Kollaboration als Schlüssel zum erfolgreichen Transfer von Innovationen“ interessant beleuchtet.)

Wenn also meine These stimmt, dass – vor allem in „schlechten“ Zeiten – die Steuerausfälle der Wirtschafts-Subvention stFuE mit der Möglichkeit zur Investition in die Schaffung, Hebung und Verwertung von Innovationen „konkurrieren“, halte ich das Geld (neben dem kontinuierlichen Ausbau von ZIM und IGF) besser ausgegeben für drei neue Maßnahmen, die die Innovationsvoraussetzungen Invention, Applikation und Transfer stärken sollen:

1. Schaffung einer Agentur für radikale Innovationen. EFI hat diese Forderung in ihrem Gutachten 2018 aufgestellt mit einer Bezeichnung, die mir sehr gut gefällt. Die Innovationsarbeitsgruppe der SPD-Bundestagsfraktion hat diese Idee schon unter anderem Namen in der letzten Legislaturperiode diskutiert, und es ist jetzt an der Zeit, diesen Mut aufzubringen. Es mangelt in Deutschland wahrscheinlich gar nicht an Ideen und Kreativität, sondern an Mut und Unterstützung durch Dritte. Wir brauchen endlich eine Möglichkeit, - wie es EFI beschreibt – „Anreize für die Durchführung besonders risikoreicher und visionärer Projekte zu setzen“. Zwar gibt es bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) schon das Reinhart-Koselleck-Programm zur Förderung innovativer und risikobehafteter Projekte, aber den Antrag stellen können nur „durch besondere wissenschaftliche Leistung ausgewiesene“ WissenschaftlerInnen. Wir brauchen aber auch Unterstützung für die im positiven Sinne „Verrückten“, deren Zielsetzung bisher nicht das „Science-Paper“ war (und deshalb die wissenschaftliche Reputation fehlt), sondern die Umsetzung einer Idee. Scheitern muss möglich sein!

2. Aufbau eines echten Validierungsverfahrens. Deutschland ist ein hervorragender (Grundlagen-)Forschungsstandort, schafft es aber noch zu wenig, Forschungsergebnisse in wirtschaftlich verwertbare Produkte umzusetzen. In einer ganz frühen Phase muss eine Validierungsmöglichkeit ansetzen. Forschung kann nobelpreisverdächtig gut, muss aber nicht kommerzialisierbar sein. Umgekehrt können Forschungsergebnisse wissenschaftlich nicht herausragend oder sogar langweilig sein, eignen sich aber vielleicht hervorragend für eine kommerzialisierbare Verwertung. WissenschaftlerInnen haben häufig nicht den Blick dafür (oder wollen das auch gar nicht). Deshalb braucht es Profis von außen, die die Kommerzialisierbarkeit von Forschungsergebnissen ohne eigenes Interesse bewerten und begleiten können. Aber eben auch ein Projekt knallhart abbrechen, wenn das Ziel nicht erreicht werden kann. Lange hat die SPD auf eine solche Förderung gedrängt, und das BMBF hat 2010 das VIP-Programm gestartet, das aber nicht die zentralen Forderungen erfüllt und nur etwas mehr als ein mutloses, normales Förderprogramm ist. Scheitern kann nötig sein.

3. Die Gründung einer Deutschen Transfergesellschaft (DTG) wird seit einiger Zeit vor allem aus den Kreisen der Fachhochschulen/Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) thematisiert. Sicher der teuerste Vorschlag (in einigen Jahren ist ein Etat von 1 Mrd. € p.a. vernünftig), möglicherweise aber auch der wichtigste und für unser Land ertragreichste. Zweifelsohne beneidet uns die halbe Welt um das Konzept der DFG, über die exzellente Grundlagenforschung über alle Fächer mit „konsequenter Orientierung“ an „wissenschaftlichen Maßstäben“ gefördert wird (und die EU hat nach diesem Vorbild den Europäischen Forschungsrat ERC erfolgreich aufgebaut). Das ist auch gut so und wird über den PFI auch weiter ausgebaut. Wirtschaftliche Verwertbarkeit gehört aber nicht dazu und wird folglich nicht gefördert. Wir wissen aber, dass Deutschlands Schwäche im Transfer seiner hervorragenden wissenschaftlichen Leistungen besteht. Auch an dieser Stelle setzt die Idee der DTG an: Während die DFG also weiterhin auf Erkenntnisorientierung abhebt, legt die DTG den Fokus ebenso fächerübergreifend und im wettbewerblichen Verfahren auf anwendungsorientierte Forschung. Genau diese Fördermöglichkeit fehlt mindestens in dem Umfang, in dem sie genutzt bzw. gebraucht werden könnte. Und vielleicht muss man auch darüber nachdenken, neben dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit von Forschung auch ein neues Kriterium wie „Qualität“ einzuführen, damit z.B. nicht forschende KMU einen besseren Zugang bekommen, gemeinsam mit Hochschulen an Produkten zu arbeiten.

Der Koalitionsvertrag biete eine stabile Basis für den Ausbau des Wissenschaftsstandortes Deutschland. Aber wir verfügen zurzeit über genügend Gestaltungsspielraum, um Neues auszuprobieren und die Weichen für die Zukunft zu stellen. Das sollten wir tun.

Scheitern muss nicht nötig sein. 

Links:

  1. http://www.fr.de/politik/meinung/gastbeitraege/gastbeitrag-forschungspolitik-braucht-mut-a-1501602

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